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Neudenken:
Kunststoffe
Die für die menschliche Zivilisation wichtigsten Materialien, die die Naturreiche liefern, sind von künstlichen Stoffen imitiert und ersetzt worden. Ihr Grundgerüst basiert auf dem Kohlenstoff.[a] In die Bereiche des Hausbaus, häuslicher Gebrauchsgüter, Textilien und Gewebe, Verpackungen, Behältnisse bis hin zu Karosserien zogen die Kunststoffe ein und ersetzten Holz und Elfenbein (Bakelit), Haut und Leder (Kunstleder: Polyurethan), Pflanzenharze und Milchsäfte (Kunstkautschuk), Wachse, die oberflächendichtenden Pflanzenstoffe (Lacke, Folien), aber auch Kork (PVC, Styropor). Insbesondere die tierischen und pflanzlichen Fasern (Nylon: Kunstseide), selbst tierisches Blutplasma (Polyvinylpyrrolidon), ebenso aber auch mineralisches Glas (Acrylglas) wurden ersetzt.
Den Reigen eröffnete 1907 die Erfindung von Leo Hendrik Baekeland,[b] das Bakelit, das die besondere Eigenschaft hatte, in der Hitze zu erhärten, statt zu schmelzen. Nimmt man noch das Silikon hinzu, das 1900 als elektrisches Isolationsmaterial erfunden wurde (es hat ein Kieselsäure-Grundgerüst, an das seitlich der Kohlenstoff angehängt ist), so kann man sagen: Das Zeitalter der Kunststoffe beginnt mit dem 20.Jahrhundert.
Die Notwendigkeit, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen wie beim Naturkautschuk (aus dem Milchsaft tropischer Bäume) zu überwinden, mehr noch der Reiz, aus einheitlichen Ausgangsmaterialien mit standardisierten Herstellungsprozessen unterschiedlichste Produkte massenhaft und schnell herstellen zu können, trieb die Kunststoff-Forschung voran. Vor allem ging es um die Eigenschaften.[c] Man brauchte gute Isolatoren für die Elektrizitätsleiter, brauchte wasserabweisende Folien und Stoffe, die gegen aggressive Chemikalien unempfindlich sind, man brauchte reißfeste oder elastische Fasern, die in beliebiger Stärke ausspinnbar waren, oder Stoffe, die gegen hohe Temperaturen unempfindlich und nicht entflammbar waren. So entstanden das Silikon, das Bakelit, die Polyethylen und -propylen, die Nylon- und Perlonfasern, die Polyester, das Teflon [d] und zahllose andere Polymere, aber auch die heute anrüchigen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).
In einem entscheidenden Punkt wurde die organische Natur damit übertroffen: All diese Stoffe sind durch ihren Aufbau beinahe ‹für die Ewigkeit› [e] konserviert, sie unterliegen nicht den natürlichen Zersetzungskreisläufen. Sie dichten, konservieren und umhüllen nicht nur, sie sind selbst das Ergebnis einer Art chemischer Mumifikation.
Beachten wir die Sprache dieser Stofferfindungen und halten wir Ausschau nach geschichtlichen Parallelvorgängen, so dringen wir zur Symptomatologie vor. Es fällt auf, dass in demselben Zeitraum weitere Formen des Bewahrens vor natürlichen Zerfallsprozessen, des ‹Mumifizierens› ersonnen werden - nämlich solche für die flüchtigen Sinneseindrücke. Nachdem die Fotografie bereits im 19.Jahrhundert erfunden wurde, kommen nun der Film und das Tonband. Radio und Fernsehen entwickeln sich als Mittel, um die Vergänglichkeit zu überwinden, um Sprache, Musik, Tanz, Bewegung, das Flüchtige zeitgebundener Vorgänge ‹für ewig› zu konservieren und dies in immer größerer Naturtreue.[f]
[...]
Unsere Kultur der Mumifikation hat ihr Vorbild in der altägyptischen Zeit,[g] nur stark metamorphosiert. Was damals luziferische [h] Inspiration war, vermittelt durch ein ‹Medium›, die einbalsamierte Mumie, wird nun in technisch-veräußerlichter Form die Masseninspiration durch die ‹Medien› [...], mit ihrer Faszination und Suggestionskraft durch den Schein des Lebendigen und Authentischen. Gleichzeitig entstehen Kunststoffe, die dem natürlichen Verfall widerstehen.[i]
Michael Kalisch
in »Das Goetheanum« 48·2008; S.4
[Dass wir bereits in der Antischöpfung leben,] geht bis in das zunächst harmlos erscheinende Gebiet der Kunststoffe. Was haben wir denn eigentlich im Perlon, im Schaumstoff usw. vor uns? Richtet man den Blick auf die Ausgangssubstanzen, so erkennt man, daß auch hier bereits mit den Kräften des Abgrundes [k] gearbeitet wird. Viele dieser Stoffe werden aus giftigen Erdgasen, z.B. aus Acetylen und Blausäure, hergestellt, so daß hier unter fortwährender Lebensgefahr mit Gasmasken gearbeitet werden muß. Mit den Gaben des Abgrundes hat man das große Wunder getan, unzerstörbare Stoffe herzustellen.
Aufregende Begleitprobleme ergeben sich sowohl in der Atom- wie in der Kunststoffindustrie: Was fängt man mit den Atomabfällen, den radioaktiven Substanzen, die übrigbleiben, an? Sie vergiften unseren Erdplaneten, denn sie verlieren ihre Radioaktivität nicht. Und was fängt man einmal mit den Abfällen aus Kunststoff an, wenn die daraus hergestellten Gegenstände nicht mehr brauchbar sind? Sie verrotten nicht, und so kann man sie nicht dem Erdreich überlassen, damit es sie wieder zu Erde umwandelt. Das alles ist für die Ewigkeit gemacht. Warum? Weil man da mit dem Tode, der letzten Erstorbenheit der irdischen Materie, d.h. mit den Kräften des Abgrundes arbeitet. Man wird eines Tages nicht mehr wissen, wohin mit den Sachen, weil sie den Boden, auf den man sie schüttet, unfruchtbar machen.
Emil Bock, 1955
aus «Michaelisches Zeitalter»; S.167f
Unsere Anmerkungen
a] vgl. »TzN Jun.2007«
b] Baekeland war ein belgischer, in die USA ausgewanderter Chemiker.
c] Auch hier taucht das altbekannte, in industriellen Prozessen besonders akzentuierte Problem auf, Quantität mit Qualität in Einklang zu bringen.
d] ein Nebenprodukt (spin off) der Raumfahrtchemie
e] also für die Zeitform Dauer, die der geistigen Welt zukommt, nicht jedoch der physischen (irdischen)
f] Dennoch geben technische Medien illusionäre, weil tote Bild- und Tonwelten wieder, die der lebendigen Imagination entgegenstehen.
g] zur Einteilung der Kulturepochen siehe Mbl.7
h] vgl. Mbl.16
i] und dadurch dem Menschen eine gewaltige, erst allmählich ahnbare Verantwortung auferlegen
k] siehe Abgrund
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200905.htm