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Zitatensammlung
Teil 1
Zitat von Rudolf STEINER zur
INTELLIGENZ der NEUZEIT
1 Noch viel, viel bedeutsamer vernahmen die Menschen in der Mitte des 3. Jahrtausends, etwa im Jahre 2500 vor Christi Geburt, wie ihr ganzes Sein eingespannt war in Ereignisse, die aus der geistigen Welt hereinragten in die physischen Ereignisse. Um diese Zeit, noch in der Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, hätte kein Mensch es sinnvoll gefunden, zu sagen: Hier wandeln die Menschen auf der Erde herum - und nicht zu sagen: Geistige Wesen sind da. - Das würde jedem Menschen ein Unsinn geschienen haben, denn man dachte sich die Erde bevölkert von dem, was physisch und geistig zugleich war.
2a Gegenüber der Art des Seelenlebens in jenen alten Zeiten ist diejenige allerdings etwas anderes, die im Laufe des 19. Jahrhunderts Platz gegriffen hat, denn die Menschen nahmen wahr, wie auf der Erde die profanen, die gewöhnlichen Ereignisse sich abspielten. Daß aber da ein bedeutender Geisteskampf dahintersteht, das nahmen die Menschen nicht wahr. Woher kommt das, daß sie das nicht wahrnahmen? Das kommt gerade von der Eigentümlichkeit dieses unseres Zeitalters, das, wie Sie wissen, um die Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen hat, und in dem wir noch drinnenstehen, das wir als den fünften nachatlantischen Zeitraum bezeichnen. In diesem Zeitalter, also in dem, in dem wir drinnenstehen, da ist die hervorragendste, die bedeutsamste Kraft, deren sich der Mensch bedienen kann, der Intellekt. Die Menschen sind seit dem 15. Jahrhundert besonders groß geworden als intelligente Wesen. Sie sind heute noch stolz darauf, die Menschen, daß sie so intelligente Wesen sind. Man soll nur ja nicht glauben, daß nicht auch eine andere Form von Intelligenz in früheren Zeiten vorhanden war, nur wurde diese Intelligenz zugleich mit einem gewissen Schauen geboren. Es wurde diese Intelligenz mit einem gewissen geistigen Inhalte zugleich in dem Menschen geschaffen. Wir haben eine Intelligenz, die eigentlich keinen wirklichen geistigen Inhalt hat, die eigentlich bloß formell ist, denn unsere Begriffe und Ideen haben eigentlich in sich selbst nichts, sie sind nur Spiegelbilder von etwas. Unser ganzer Verstand ist eine Summe von bloßen Spiegelbildern von etwas. Das ist ja das Wesen jener Intelligenz, die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ganz besonders entwickelt hat, daß der Verstand nur ein Spiegelungsapparat ist. Aber solches, wie es sich da spiegelt, das hat im Grunde genommen im Menschen keine Kraft. Das ist im Grunde genommen passiv. Das ist ja das eigentümliche desjenigen Verstandes, auf den die gegenwärtige Menschheit so stolz ist, daß dieser Verstand passiv ist. Wir lassen ihn auf uns wirken, wir geben uns ihm hin. Wir entwickeln wenig Willenskraft in diesem Verstande. Das ist heute das hervorragendste Kennzeichen der Menschen, daß sie eigentlich den tätigen Verstand hassen. Wenn sie irgendwo sein sollen, wo ihnen zugemutet wird, mit dem, was vorgebracht wird, mitzudenken, so ist das langweilig, sehr langweilig. Da beginnt das allgemeine Einschlafen sehr bald, wenigstens das seelische Einschlafen: sobald gedacht werden soll. Dagegen wenn es ein Kinematograph ist, wenn man nicht zu denken braucht, sondern wenn das Denken eher eingeschläfert wird, wenn man bloß zu sehen braucht und nur sich passiv hinzugeben dem, was sich abspielt, und wenn die Gedanken so wie selbständige Räder ablaufen, da fühlt sich der Mensch heute befriedigt. Es ist der passive Verstand, an den sich die Menschen gewöhnt haben.
2b Dieser passive Verstand hat keine Kraft, denn dieser passive Verstand, was ist er denn eigentlich? Man lernt sein Wesen kennen, wenn man sich erinnert, wie die Arten des menschlichen Wissens noch eingeteilt waren in alten Mysterienschulen. Da hat man drei Arten des Wissens unterschieden: Erstens jenes Wissen, das da kommt aus dem physischen Leben des Menschen, das gewissermaßen aufsteigt aus dem physischen Miterleben der Welt, man könnte sagen: das physische Wissen; zweitens das intellektuelle Wissen, jenes Wissen, das man selber bildet, hauptsächlich in der Mathematik, jenes Wissen, in dem man drinnenlebt, das intellektuelle Wissen; drittens das geistige Wissen, dasjenige Wissen, das nicht aus dem Physischen, sondern aus dem Geistigen kommt. Von diesen drei Arten des Wissens ist in unserem Zeitalter besonders gepflegt und besonders beliebt das intellektuelle Wissen. Es ist förmlich ein Ideal geworden, dem geistigen Leben so gegenüberzustehen, wie man gewohnt worden ist, der Mathematik gegenüberzustehen, dem geistigen Leben mit einer gewissen Neutralität, mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüberzustehen. Es ist eigentlich unerhört, aber wahr, daß in unserer Zeit auch die Träger des Wissens, zum Beispiel Hochschulprofessoren, wenn sie die Türen hinter sich zugemacht haben und draußen sind, daß sie dann so schnell wie möglich etwas anderes treiben wollen, was nicht mit ihrem Wissen zusammenhängt. Es ist ein abstraktes Hingeben an das Wissen, und das, das geht eigentlich recht tief.
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3 Ein solches, nicht von Substanz erfülltes Geistesleben, das ist eigentlich abgeschlossen, sowohl abgeschlossen von der physischen Welt, wie abgeschlossen von der geistigen Welt. Eigentlich weiß unsere Zeit weder von der physischen Welt noch von der geistigen viel. Sie weiß eigentlich nur von dem, was sie sich selber ausdenkt. Wegen dieses Charakters unserer Intellektualität als einer Summe von Spiegelbildern war der Mensch des 19. Jahrhunderts ausgeschlossen davon, etwas zu wissen von dem, was geistig hinter den Kulissen der Weltgeschichte vorging. Er erlebte jenen großen, bedeutsamen Umschwung nicht mit, der sich im Geistigen hinter der äußeren Weltgeschichte vollzog in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und er muß erst durch eigene Anstrengungen lernen, daß die physische Welt folgen müsse der geistigen Welt. Er wird es lernen müssen, denn wenn er es nicht lernt, wird die Not immer größer und größer werden und die Zivilisation wird über die ganze gegenwärtige zivilisierte Welt hin in Barbarei übergehen. Um das zu vermeiden, ist eben notwendig, daß der Mensch gewahr werde innerlich, daß er ebenso etwas erleben müsse, wie erlebt worden ist um das Jahr 300 vor Christi Geburt die Geburt der Phantasie. So muß in unserer Zeit erlebt werden die Geburt des tätigen Verstandes: damals die tätige Einbildungskraft, jetzt die Geburt des tätigen Verstandes. Dazumal entstand die Möglichkeit, durch Nachschaffung von äußeren Formen phantasievoll zu gestalten. Jetzt muß die Menschen ergreifen ein inneres kraftvolles Schaffen von Ideen, durch die sich jeder selber ein Bild seines eigenen Wesens macht und sich dieses vorsetzt als dasjenige, dem er nachstrebt. Selbsterkenntnis im weitesten Umfange des Wortes muß die Menschen ergreifen; aber nicht eine Selbsterkenntnis, in der man nur brütet über dasjenige, was man gestern gegessen hat, sondern eine Selbsterkenntnis, die es bringt bis zu einem Betätigen des eigenen Wesens. Und diese Selbsterkenntnis wird von der Entwickelung des Menschen, der eben zur Geburt des tätigen Verstandes aufsteigen muß, klar gefordert.
Dornach, 21.Mär.1920 ☉ (aus «GA 198»; S.26ff)
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit119800026.htm