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Neudenken:
Empfindung
1 Im Laufe der seelischen Entwicklung kann der Mensch nicht nur - wie mit der Pubertät - physisch, sondern auch seelisch und geistig schöpferisch werden. Das verdankt er seinem Ich, dem Funken des göttlichen Feuers.[a] Der schöpferische Charakter des Ich kommt schon bei seiner Geburt zum Ausdruck. Zugleich mit ihr vollzieht sich eine andere Geburt: Die erste Frucht der Ich-Tätigkeit im Menschenwesen erscheint. Geboren wird zusammen mit dem Ich das erste Glied der Seele, [...] Steiner nennt dieses erste Seelenglied «Empfindungsseele». Es entsteht aus dem Ringen des noch ungeborenen Ich im dritten Jahrsiebt [einer Biographie], das zur Verwandlung von Kräften des Empfindungsleibes in jene der Empfindungsseele führt.⁵
2 Wieder wird das seelische Element der Empfindung [...] ein ganzes Jahrsiebt prägen. Weiter wird das Urteilen, das Denken von den Wogen der Empfindungen, der Sympathien und Antipathien getragen,[b] aber dem Sturm und Drang gibt sich nun ein Ich hin; es kann ihn für seine Fahrt nützen und schließlich durch ihn hindurch steuern.[c] Seine Kraft wächst durch die empfindende Auseinandersetzung mit der Welt. Die Lebensfrage der Empfindungsseele lautet daher: «Wie erlebe ich die Welt und an der Welt mich selbst?»
3 Diesem Ich, das sich aus dem Leibe erhoben hat, steht ein höheres Ich gegenüber, das sich nicht im Leibe verkörpert, sondern in der geistigen Welt bleibt. Seine «Rückstrahlung» im irdischen Bereich bildet das niedere Ich.²⁴[d] Das höhere Ich steht als Leitstern über der seelischen Entwicklung des Menschen. Jede seelische Entwicklung, die sich dem Geiste zuwendet, beruht letzten Endes darauf, daß sich das niedere Ich mehr und mehr für die Einstrahlung des höheren Ich öffnet, daß immer mehr vom Licht des höheren Ich in die Ausstrahlung des niederen Ich eingeht.
4 Wenn der Mensch im Ergreifen einer Aufgabe über sich hinauswächst, kann er etwas von seinem höheren Ich empfinden, das ihm diese Aufgabe aus der geistigen Welt vermittelt. Dasselbe kann in der Liebe zu einem anderen Menschen eintreten. Auch dabei kann man, mehr auf der Gefühlsebene, etwas Höheres in sich erwachen fühlen, eine reinere Ausstrahlung seines niederen Ich, das sich letzten Endes mit dem höheren Ich des andern Menschen verbinden will. Nun wirkt die Einstrahlung des anderen höheren Ich bei der Entwicklung des eigenen Ich mit. Der handelnde Wille kann durch die Liebe aufgerufen werden, dem höheren Ich des andern bei dessen allmählicher Verkörperung zu helfen.[e]
S.133f
5 R. Steiner: «Theosophie», Kap. «Vom Wesen des Menschen» (GA 9) und Vortrag vom 14. 3. 1910 in «Metamorphosen des Seelenlebens» (GA 59).
24 R. Steiner: Vortrag vom 13. 8. 1921 in «Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist» (GA 206).
S.230f
Rudolf Treichler
in „Seelische Entwicklung und geistige Schulung”
aus «Freiheit erüben»
Unsere Anmerkungen
a] vgl. Mbl.5
b] was über Verstand und Gemüt zu Erfahrungen (vgl. R.Steiner zur Wahrnehmung) führt
c] vgl. Heraklit: Frag.B 40f
d] auch Ego oder Ich-Punkt (vgl. das Bild von den drei Lichtstrahlen in Mbl.5: Anm.3)
e] vgl. Steiner, R.: „Leben und Tod
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202404.htm