zum IMPRESSUM
Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Salvatore LAVECCHIA zum
FREIEN GEISTESLEBEN
1 Wann erlebe und gestalte ich freies Geistesleben? Bestimmt nicht, wenn ich mich in die vorgefassten Bahnen irgendwelcher routinemäßigen, akademischen oder - vermeintlich - wissenschaftlich akkreditierten Diskurse einordnen und von ihnen leiten lasse! Eher, wenn ich beim Geschirrspülen die Begegnung mit dem jeweiligen Geschirr - ohne Zertifikate und Titel erwerben, Schulen oder Kurse besuchen, Rezepte oder Modelle befolgen zu müssen - so wahrnehmen, verstehen und gestalten kann, dass ich voraussetzungslos die mit jenem individuellen Geschirr sowie mit meiner individuellen Konstitution harmonisch zusammenklingende Spülmethode schöpferisch und künstlerisch denken, fühlen und wollen kann. Ist dieses kreative und deshalb effektive Umgehen mit dem Geschirrspülen nicht die Offenbarung eines freien Geisteslebens, wie es, in anderen Modalitäten, das schöpferische Dichten, Eurythmisieren, Heilen, Unterrichten, Predigen oder Kapitalbilden sind? Wäre ich nämlich kein Geist, kein Ich, dann wäre ich allein Seele bzw. Psyche und Leib, und dann würde ich auf die Begegnung mit dem Geschirr unfrei und unschöpferisch reagieren, irgendwelche Verhaltensmuster wiederholen - ohne die Fähigkeit, bei jedem Spülen mein Spülen, das Spülen überhaupt als Kunst neu, frei von aller Vergangenheit und authentisch gegenwärtig zu erfinden.
2 Vielleicht können wir deshalb das freie Geistesleben und seine unerschöpfliche gemeinschaftsbildende Kraft noch nicht erfühlen, ergreifen und begreifen, weil wir noch nicht wirklich verstehen wollen oder können, dass jede - sei es innerliche oder äußerliche, sei es herausragende oder alltägliche - Art von Tätigkeit freies Geistesleben bewirkt und ist, die durch unser einmaliges Ich bewusst und schöpferisch gewollt, wahrgenommen, erfühlt, verstanden und gestaltet wird. Oder vielleicht geht es doch darum, dass wir uns noch nicht wirklich als freien Geist, als ein Ich ergreifen, begreifen, vorstellen und deshalb konsequent wollen können, das in seinem Wesen sowohl frei als auch - gerade durch die eigene, authentisch verwirklichte Freiheit - urbildhaft sozial sein kann.
in »die Drei« 6/2019; S.92
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit660020016.htm