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Zitatensammlung
Teil 1
Zitat von Rudolf STEINER zu
INITIATIVE und MATERIALISMUS
1 Es erfordert alles das, was da als viele Möglichkeiten in bezug auf die mannigfaltigsten Lebensdinge da ist, von den Anthroposophen Initiative, innere Initiative des seelischen Lebens. Und bekanntmachen muß man sich damit, [...] daß der Anthroposoph sich sagen muß: Bin ich nun einmal durch mein Karma Anthroposoph geworden, so verlangt dasjenige, was mich hat treiben können zur Anthroposophie, daß ich achtgebe, wie in meiner Seele - irgendwie mehr oder weniger tief - die Notwendigkeit erscheint, im Leben Seeleninitiative zu finden, aus dem Innersten des eigenen Wesens heraus etwas beginnen zu können, etwas beurteilen zu können, etwas entscheiden zu können.
2 Das ist im Karma eines jeden Anthroposophen eigentlich geschrieben: Werde ein Mensch mit Initiative, und siehe nach, wenn du aus Hindernissen deines Körpers oder aus Hindernissen, die sich dir sonst entgegenstellen, den Mittelpunkt deines Wesens mit der Initiative nicht findest, wie im Grunde genommen Leiden und Freuden bei dir von diesem Finden oder Nichtfinden der persönlichen Initiative abhängen! - Das ist etwas, was wie mit goldenen Buchstaben immer vor der Seele des Anthroposophen stehen sollte, daß er Initiative in seinem Karma liegend hat, und daß vieles von dem, was ihm im Leben begegnet, davon abhängt, inwieferne er sich dieser Initiative willentlich bewußt werden kann.
3 Bedenken Sie, daß damit eigentlich außerordentlich viel gesagt ist; denn zugleich ist ja in der Gegenwart außerordentlich viel Beirrendes in bezug auf alles das, was das Urteilen lenken und leiten kann. Und ohne ein klares Urteilen über die Verhältnisse des Lebens windet sich die Initiative nicht aus den Untergründen der Seele heraus. Aber was bringt uns denn zu einem klaren Urteilen über das Leben, gerade in der Gegenwart?
[...]
4 Wir leben in der Zeit des Materialismus. Dasjenige, was schicksalsmäßig sich um uns, in uns abspielt, steht ja alles im Zeichen dieses Materialismus auf der einen Seite und des zunächst überallhin verstreuten Intellektualismus auf der anderen Seite. Ich habe diesen Intellektualismus gestern charakterisiert an dem Journalismus und an dem Drang, überall in Volksversammlungen die Angelegenheiten der Welt zu entwickeln. Man muß sich bewußt werden, wie stark heute unter dem Einflusse dieser beiden Zeitenströmungen der Mensch steht. Denn es ist fast so unmöglich, sich diesen Zeitströmungen des Intellektualismus und des Materialismus zu entziehen, wie es unmöglich ist, ohne Regenschirm, wenn es regnet, nicht naß zu werden. Es ist eben überall um uns herum da.
5 Denken Sie doch nur einmal: Wir können doch einfach gewisse Dinge nicht wissen, die wir wissen sollen, wenn wir sie nicht in der Zeitung lesen; wir können gewisse Dinge nicht lernen, die wir lernen sollen, wenn wir sie nicht im Sinne des Materialismus lernen. Wie soll heute einer Arzt werden, wenn er nicht den Materialismus dabei «verzehren» will! Er kann ja nicht anders, als den Materialismus mitnehmen; er muß es selbstverständlich tun. Und wenn er eben nicht den Materialismus mitnehmen will, so kann er im Sinne der heutigen Zeit nicht ein wirklicher Arzt werden. Also wir sind ja dem fortwährend ausgesetzt. Das aber spielt doch in das Karma ungewöhnlich stark herein.
6 Aber das alles ist ja wie dazu geschaffen, Initiative in den Seelen zu untergraben! Jede Volksversammlung, in die man geht, sie hat ja als Volksversammlung nur einen Zweck, die Initiative der einzelnen Menschen mit Ausnahme derjenigen, die da reden und Führer sind, zu untergraben. Jede Zeitung kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie «Stimmung» macht, wenn sie also die Initiative des einzelnen untergräbt.
7 Auf diese Dinge muß hingesehen werden, und man muß sich bewußt werden, daß ja im Grunde das, was der Mensch als sein gewöhnliches Bewußtsein hat, ein sehr kleines Kämmerchen ist. Alles, was in der Weise, wie ich es eben geschildert habe, um den Menschen herum vorgeht, hat auf das Unterbewußte einen riesigen Einfluß. Und schließlich, es bleibt uns nichts anderes übrig als, wenn ich mich so ausdrücken darf, außer dem, daß wir Menschen sind, auch Zeitgenossen zu sein. Manche glauben, man könnte «nur Mensch» sein in irgendeinem Zeitalter, aber das führt auch ins Verderben, man muß schon auch Zeitgenosse sein. Es ist ja natürlich übel, wenn man nichts anderes ist als Zeitgenosse, aber man muß schon auch Zeitgenosse sein, das heißt, man muß eine Empfindung haben für dasjenige, was in der Zeit geschieht.
[...]
8 Das kommt eben davon, daß - weil die Anlage zur Initiative da ist - der Mensch, der eben so veranlagt ist und so durch sein Karma in die Welt hineingestellt ist, eigentlich immer - verzeihen Sie den Vergleich - wie eine Biene ist, die einen Stachel hat, aber die sich fürchtet zu stechen in dem entsprechenden Moment. Die Initiative ist der Stachel; aber man fürchtet sich zu stechen. Man fürchtet sich namentlich, in das Ahrimanische hineinzustechen. Man fürchtet nicht, daß das Ahrimanische dadurch irgendwie beschädigt wird, aber man fürchtet, daß der Stachel stößt und zurückgeht und einem dann selber in den Leib dringt. So ungefähr ist die Furcht geartet. Und so bleibt die Initiative aus einer allgemeinen Lebensfurcht zurück. Diese Dinge muß man nur durchschauen.
S.151ff
9 Da steht nun der Anthroposoph und will, um nicht stecken zu bleiben mit seiner Initiative, Klarheit haben über das, was ihm an den Materialisten entgegentritt. Er will die Unrichtigkeit des Materialismus in allen Hintergründen finden, und er findet in der Regel nicht viel. Er glaubt, den Materialismus zu widerlegen - aber der steht immer wieder auf. Woher kommt das?
[...]
10 Sehen Sie, es kommt daher, daß der Materialismus eben wahr ist - was ich schon öfter gesagt habe -, daß der Materialismus nicht unrecht hat, sondern recht hat! Davon kommt es. Und der Anthroposoph sollte auf eine besondere Art lernen, daß der Materialismus recht hat. Er sollte es nämlich auf die Weise lernen: daß der Materialismus recht hat, aber nur für die physische Leiblichkeit gilt. Die anderen Menschen, die Materialisten sind, die kennen nur die physische Leiblichkeit, oder glauben sie wenigstens zu kennen. Das ist der Irrtum, nicht im Materialismus liegt der Irrtum. Wenn man auf materialistische Art Anatomie, Physiologie oder das praktische Leben kennenlernt, so lernt man die Wahrheit kennen, aber sie gilt nur für das Physische. Und dieses Geständnis muß ganz aus dem Innersten des Menschenwesens heraus gemacht werden: daß der Materialismus recht hat auf seinem Gebiete, und daß es gerade das Glänzende der neueren Zeit ist, das Richtige auf dem Gebiete des Materialismus gefunden zu haben. Aber die Sache hat eben ihre praktische Seite, ihre praktisch-karmische Seite.
S.154f
Dornach, 4.Aug.1924 ☽ (aus «GA 237»)
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit123700151.htm