zum IMPRESSUM
Zitatensammlung
Teil 2a: Apokryphen
PROTEVANGELIUM JAKOBI 4-6
4,1
Und siehe, ein Engel des Herrn trat zu ihr und sprach: Anna [Hannah], Anna, der Herr hat deine Bitte erhört. Du wirst empfangen und gebären, und deine Nachkommenschaft wird in der ganzen Welt genannt werden. Da sprach Anna: So wahr der Herr, mein Gott, lebt, wenn ich gebären werde, sei es ein Knabe oder ein Mädchen, so will ich es dem Herrn, meinem Gott, als Opfergabe darbringen, und es soll ihm Dienste verrichten alle Tage seines Lebens.
4,2
Und siehe, da kamen zwei Boten und sprachen zu ihr: Siehe, Joachim, dein Mann, kommt mit seinen Herden; denn ein Engel des Herrn ist zu ihm herabgestiegen und hat ihm gesagt: Joachim, Gott, der Herr, hat deine Bitte erhört. Ziehe hinab! Siehe, Anna, dein Weib, hat in ihrem Leib empfangen³.
4,3
Und Joachim zog hinab und rief seine Hirten und sprach: Bringet mir zehn Lämmer herbei, ohne Fehl und Makel, sie sollen dem Herrn, meinem Gott gehören. Und bringt mir zwölf Kälber für die Priester und Ältesten, und hundert Böcke, sie sollen für das ganze Volk sein.
4,4
Und siehe, da kam Joachim mit seinen Herden, und Anna stand unter der Türe⁴, und sie sah Joachim kommen, lief alsbald herbei, fiel ihm um den Hals und sprach: Jetzt weiß ich, daß Gott, der Herr, dich reich gesegnet hat; denn siehe, die Witwe ist nicht mehr Witwe, und ich, die Kinderlose, habe in meinem Leibe empfangen.
Und Joachim ruhte am ersten Tage in seinem Hause aus.
5,1
Am nächsten Tage aber brachte er seine Gaben dar, indem er bei sich sprach: Wenn Gott, der Herr, mir gnädig ist, wird mir das Stirnband des Priesters es offenbar machen⁵. Und Joachim brachte seine Gaben dar und achtete auf das Stirnband des Priesters, als er zum Altar des Herrn hinaufstieg; und er sah keine Sünde an ihm. Da sprach Joachim: Jetzt weiß ich, daß Gott, der Herr, mir gnädig ist und mir alle meine Sünden vergeben hat. Und er stieg hinab vom Tempel des Herrn, gerechtfertigt, und ging in sein Haus.
5,2
Es erfüllten sich aber ihre sechs Monate, wie der Engel gesagt hatte: im siebenten Monat gebar Anna. Und sie sprach zu der Hebamme: Was habe ich geboren? Und sie sprach: Ein Mädchen. Da sprach Anna: Erhoben ist meine Seele an diesem Tag. Und sie legte es nieder. Als aber die Tage erfüllt waren, da reinigte sich Anna von ihrem Wochenbett und gab dem Kinde die Brust, und sie verlieh ihm den Namen Maria.
6,1
Das Kind wurde nun von Tag zu Tag kräftiger; als es sechsmonatig war, stellte es seine Mutter zu Boden, um in Erfahrung zu bringen, ob es schon stehen könne. Und es machte sieben Schritte und gelangte an ihren Schoß. Sie aber hob es in die Höhe und sprach: So wahr der Herr, mein Gott, lebt, du sollst nicht mehr auf diesem Erdboden Schritte machen, bis ich dich in den Tempel des Herrn führen werde! Und sie machte ein Heiligtum in seinem Schlafgemach⁶ und ließ nicht zu, daß es etwas Profanes oder Unreines zu sich nähme. Dann rief sie die unbefleckten Töchter der Hebräer, und diese sorgten für ihre Zerstreuung.
6,2
Am ersten Geburtstag des Kindes veranstaltete Joachim ein großes Festmahl und lud dazu die Hohenpriester, die Priester und Schriftgelehrten, die Ältesten und das ganze Volk Israel ein. Und Joachim brachte das Kind vor die Priester, und sie segneten es mit den Worten: Gott unserer Väter, segne dieses Kind und verleihe ihm einen unter allen Geschlechtern ewig gerühmten Namen! Und das ganze Volk sprach: So sei es. Amen! Und sie brachten es vor die Hohenpriester, und sie segneten es mit den Worten: Gott der Himmelshöhen, blicke auf dieses Kind herab und segne es mit dem höchsten, unüberbietbaren Segen!
6,3
Und seine Mutter brachte es hinauf in das Heiligtum seines Schlafgemaches und gab ihm die Brust. Und Anna stimmte Gott, dem Herrn, folgendes Loblied an: Lob will ich singen dem Herrn, meinem Gott, denn heimgesucht hat er mich und von mir genommen die Schmähung durch meine Feinde. Und es gab mir der Herr die Frucht der Gerechtigkeit, die einzigartige und überreiche vor ihm. Wer meldet's den Söhnen Rubens, daß Anna säugt? Höret, höret, ihr zwölf Stämme Israels [Deu.6,4]: Anna säugt! Und sie brachte es zur Ruhe in dem Schlafgemach mit seinem Heiligtum und ging hinaus und wartete ihnen auf. Nach Beendigung des Mahles zogen sie wieder hinab, in großer Freude und mit Lobpreis auf den Gott Israels.
Mitte II.Jhdt.
3 Die Empfängnis ist also schon erfolgt. Manche Handschriften bieten hier das Futurum («wird empfangen»), so daß in diesen später (Kap. 5, Vers 2) von neun Monaten gesprochen wird. An eine Empfängnis ohne Einwirkung eines Mannes (Jungfrauengeburt) ist nicht gedacht. Auch die spätere katholische Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens nimmt eine natürliche Zeugung an.
4 Die spätere Legende läßt sie an der «goldenen Pforte» Jerusalems warten, was sich auch in bildlichen Darstellungen spiegelt.
5 Nach 2.Mose 28,36-38 trägt der Hohepriester ein goldenes Stirnband, das eine sühnende Wirkung hat. Daß man jedoch die eigene ungesühnte Sünde oder die eigene Unschuld an ihm erkennen könne, beruht auf Volksglauben.
6 Durch Fernhalten von allem (kultisch) Unreinen wird das Schlafgemach zum Heiligtum.
aus «Apokryphen»; S.415ff
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit004500415.htm