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Neudenken:
Kriegsende
Der Dreißigjährige Krieg ist zu Ende, die Turbulenzen einer im Zeichen Gottes geführten, aber von Gott verlassenen und egoistisch-feudalistisch verrannten Dauerschlacht sind äußerlich mit dem Frieden von Münster und Osnabrück zur Scheinruhe gekommen. Ein ausgeblutetes Land liegt in der Ruhe der Erschöpfung. Die Reichseinheit ist endgültig zerfallen, und das Vielfürstenland duckt sich unter der Oberhoheit der Garantiemächte Frankreich und Schweden, die sich je ihr Stück aus dem zerfallenden Trümmerberg gerissen haben: RICHELIEUS Frankreich das Elsaß, OXENSTIERNAS Schweden Pommern mit der Odermündung.[a] Die Schweiz und die Niederlande sind endgültig aus dem Reichsverband ausgeschieden, und die Fürsten haben eine derartige Souveränität erlangt, daß des Kaisers Wort jegliches Gewicht verloren hat. Das neue Europa hat sich konstituiert, die nationalen Mächte England, Frankreich, Schweden, Niederlande, Spanien haben sich abgegrenzt und selbständig organisiert. Nur die Mitte Europas ist eine politische Wüste geworden: In der Zeit, in der andere Völker ihren Staat finden, verlieren ihn die Deutschen vollständig - für mehr als zweihundert Jahre! Der lebendige Organismus des alten Deutschen Reiches⁵ unter einem - wenn auch häufig schwachen - Kaiser ist aufgelöst in ein Gemenge noch undifferenzierter Kleinfürstentümer. Die Persönlichkeiten, die jeweils staatenbildende Kraft besaßen, sind tot: GUSTAV ADOLF gefallen bei Lützen am 6. November 1632, WALLENSTEIN im Auftrag des neidischen Kaisers ermordet in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1634.[b] Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mitteleuropas ist in diesem Kampf geblieben, erst im 19. Jahrhundert wird Deutschlands Bevölkerungszahl wieder der jener Zeit vor diesem grausamen Kriege gleichen.[c]
Hauptsächlich die Männer hat es getroffen, und das Schicksal der Kreuzzugszeiten wiederholt sich: Die Frauen sind Witwen geworden, oder sie müssen ledig bleiben und ein Auskommen suchen. Zwar haben sich seit der Reformation die Sitten gelockert, hat sich das Leben von Zwängen befreit, ja hat in Kriegszeiten weit über die Stränge von Zucht und Ordnung geschlagen - wie bei GRIMMELSHAUSEN [d] zu lesen -, aber es fehlen die Männer. Wieder füllen sich die Beginenhöfe [e] und die Häuser der Schwesternschaften. Frauen ergreifen Berufe, führen die Wirtschaften der gefallenen Männer,[f] Frauen sind robuster geworden durch die Not und Gefährdung des Krieges.
Und noch immer ziehen die Horden durch die Lande! Wer dreißig Jahre und länger Landsknecht, Vertriebener oder auch Landstreicher war, nur auf Überleben und Vorteil bedacht, der findet nicht leicht wieder Zuhause und Seßhaftigkeit ...
Auch die Fürstenhäuser sind ausgeblutet oder doch schwer getroffen: Die Söhne waren Heerführer und sind gefallen. Ob nun auch Fürstenmacht gegenüber dem Kaiser sich erhoben, mächtig, ja allmächtig geworden, der Reichtum ist mit dem Blut der Bevölkerung versickert, und Hochzeiten ins erstarkte Ausland, insbesondere für protestantische Prinzessinen, bleiben meist vergebliche Hoffnung. Man wendet sich der Häuslichkeit zu, man übernimmt karitative Aufgaben, denn es gibt Unzählige, die der Hilfe bedürfen.
Ernst Harnischfeger
5 Amtlich 911 bis 1806. Seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts Römisches Reich, seit dem 15. Jahrhundert Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation.
aus «Mystik im Barock»; S.15f
Unsere Anmerkungen
a] Armand-Jean du PLESSIS cardinal de Richelieu und Axel Gustafsson greve Oxenstierna af Södermöre
b] Gustaf II. Adolf von Schweden und Albrecht Eusebius Wenzel v.Wallenstein, Herzog von Friedland
c] Das Erzherzogtum Österreich musste den Sundgau, die Landschaft zwischen Basel, Belfort und Mulhouse, an Frankreich abtreten und hat keine katholische Hegemonie übers Reich erreicht. Kaiser Ferdinand III. konnte allerdings die Folgen für die österreichischen Erblande geringhalten. Allen Einbussen zum Trotz wurde die verfassungsmässige Stellung des Kaisers im Reich beibehalten, was weiterhin eine kaiserliche Reichspolitik ermöglichte. Die Habsburgermonarchie konnte die Entwicklung ihres absolutistischen Einheitsstaates weiterführen.
d] Hans Jacob Christoffel v.Grimmelshausen
e] vgl. »TzN Feb.2010«
f] wie die „Trümmerfrauen” nach den beiden Weltkriegen
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201705.htm