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Bestattungsformen
Der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode scheint durch die Verwendung von [rotem] Ocker als rituellem Blutersatz, also als „Symbol” des Lebens, schon für die früheste Zeit bewiesen zu sein. Der Brauch, den Leichnam mit Ocker zu bestäuben, ist sowohl zeitlich als auch räumlich allgemein verbreitet; er ist von Choukoutien [a] bis zu den westlichen Küsten Europas, in Afrika bis zum Kap der Guten Hoffnung, in Australien, Tasmanien und in Amerika bis Feuerland anzutreffen. Was die religiöse Bedeutung der Bestattungen angeht, so war sie heftig umstritten. Es steht außer Zweifel, daß die Bestattung der Toten einen Grund haben mußte, allein welchen? Zunächst einmal dürfen wir nicht vergessen, daß „das bloße Liegenlassen des Leichnams im Gestrüpp, die Zerstückelung, das den Vögeln zum Fraß Vorwerfen und die überstürzte Flucht aus der Behausung unter Zurücklassung des Toten nicht das Fehlen der Idee eines Weiterlebens bedeutet”⁸. Der Glaube an ein Fortleben wird a fortiori durch die Bestattungen bestätigt; andernfalls bliebe es unverständlich, warum man sich die Mühe machte, den Leichnam einzugraben. Dieses Fortleben konnte rein „geistig”, also als Weiterleben der Seele verstanden werden,[b] eine Vorstellung, die durch das Erscheinen der Toten in Träumen bestärkt wurde. Einige Bestattungen lassen sich aber auch als Vorsichtsmaßnahme gegen eine eventuelle Wiederkehr des Toten deuten; in diesem Fall waren die Leichen gekrümmt, möglicherweise auch gefesselt. Es spricht aber auch nichts gegen die Annahme, daß die gekrümmte Haltung der Toten keineswegs die Angst vor dem „lebenden Leichnam” (die bei einigen Völkern belegt ist) verrät, sondern ganz im Gegenteil die Hoffnung auf eine „Wiedergeburt”; denn wir kennen zahlreiche Fälle einer bewußten Bestattung in Fötusposition.
Von den besten Beispielen für Bestattungen mit magisch-religiöser Bedeutung seien hier angeführt: die Bestattung von Teshik-Tash in Usbekistan (ein Kind inmitten eines Kranzes von Steinbockhörnern), die Grablegung von Chapelle-aux-Saints in Corrèze (in der Leichengrube fand man mehrere Feuersteingeräte und Ockerstücke⁹), und die Bestattung von La Ferrassie in der Dordogne (mehrere Hügelgräber mit Depots von Feuersteingeräten). Diesen hinzuzufügen ist der Höhlenfriedhof auf dem Karmel [c] mit zehn Bestattungen. Umstritten sind noch Authentizität und Bedeutung der Speisebeigaben bzw. der in den Gräbern niedergelegten Gegenstände. Am bekanntesten ist der weibliche Schädel von Mas d'Azil [d] mit seinen künstlichen Augen, der auf einem Rentierkiefer und -geweih ruhte¹°.
Im Jungpaläolithikum scheint die Bestattung allgemein üblich zu werden. Die mit Ocker bestreuten Toten sind in Vertiefungen begraben, in denen man eine Anzahl von Schmuckgegenständen fand (Muscheln, Gehänge, Ketten). Möglicherweise sind die neben den Gräbern gefundenen Tierschädel und -knochen Überreste ritueller Mahlzeiten oder rühren von Opfergaben her. [...] das Vorhandensein solcher Gegenstände [wie Gerätschaften oder Waffen] impliziert nicht nur den Glauben an ein persönliches Weiterleben nach dem Tode, sondern auch die Gewißheit, daß der Tote im Jenseits seine spezifische Aktivität fortsetzt. Ähnliche Vorstellungen sind reich und auf den verschiedensten Kulturstufen belegt. [...]
Mircea Eliade
A. Leroi-Gourhan [, Les religions de la préhistoire: Paléolithique (Paris 1964)] 54.
⁹ Jüngere archäologische Funde haben gezeigt, daß Hämatit vor 29000 Jahren in einem Bergwerk in Swaziland und vor 43000 Jahren in Rhodesien [heute Zimbabwe] abgebaut wurde. Dieser Abbau in den afrikanischen Minen zieht sich über Jahrtausende hin. Die Entdeckung eines ähnlichen Abbaus in der Nähe des Plattensees in Ungarn aus der Zeit um 24000 zeigt die technischen Fähigkeiten der Altsteinzeitmenschen und die Ausdehnung ihrer Beziehungen. Vgl. R. A. Dart, The Antiquity of Mining in South Africa; ders. The Birth of Symbology [, in: African Studies 27 (1968)] 21ff.
¹° Nach A. Leroi-Gourhan handelt es sich um einen „Haufen von Überresten, auf dem ein wahrscheinlich nicht mehr beachteter und jedenfalls nicht ursprünglich hier deponierter menschlicher Schädel lag” (a.a.O. 57).
aus «Geschichte der religiösen Ideen - Bd.1»; S.21f
Unsere Anmerkungen
a] Zhoukoudian ist ein Stadtunterbezirk von Bejdjing rund 42 km südwestlich vom Stadtzentrum, in dem ein urhistorisch relevantes Höhlensystem liegt.
b] Auch diesem Wissenschaftler fehlt ein klarer Begriff vom Geist und dessen Verhältnis zur Seele.
c] Gebirgszug in Nordisrael
d] Tunnelhöhle im Département Ariège
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201704.htm