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Neudenken:
Die Krim als Symptom
1 Die Legende weiß zu berichten, daß der Apostel Andreas auf die Krim [a] gekommen sei und die Botschaft von der Auferstehung Christi von hier aus in den Norden Rußlands getragen habe.
2 Moderne Historiker pflegen legendären Überlieferungen wenig Glauben zu schenken, obwohl diese oft einen größeren Wahrheitsgehalt haben als so manches dokumentarische Beweisstück.[b] Daß die Krim jedenfalls als die »Wiege des russischen Christentums« betrachtet werden muß, wird nach den archäologischen Entdeckungen der sowjetischen Wissenschaftler in Südrußland kaum noch zu bezweifeln sein. Lange vor der Zeit Vladimirs des Heiligen, der 988 auf der Krim die Taufe nahm, die alten Götterbilder seiner Heimat zerstören und sein Volk in den Fluten des Dnjepr zu Christen machen ließ, gab es schon zahlreiche Höhlenkirchen in Südrußland. Sie zeugen von dem Vorhandensein einer frühchristlichen Tradition morgenländischer Frömmigkeit in jenen Gebieten, die für die Volkwerdung der Russen und ihre Kulturentwicklung von größter Bedeutung werden sollte.
3 Wir wissen nichts über die Gemeinden, die in diesen wohl aus dem 8. oder 9. Jahrhundert stammenden Kirchen gebetet haben. Aber bei den regen Handelsbeziehungen der Ostslawen mit dem byzantinischen Reich ist anzunehmen, daß die christliche Botschaft in den russischen Kaufmannssiedlungen nicht unbekannt geblieben ist. Jedenfalls lassen sich frühe christliche Spuren im Lande der »Rus«* feststellen, und für seine spätere Einbeziehung in die christliche Ökumene war die Nähe und Anziehungskraft des Byzantinischen Kaiserreiches von der größten Bedeutung. Rußland wurde zu dem, was es war und ist, weil es das Christentum nicht im Zeichen Roms und der lateinischen Liturgie empfing. Die Russen gingen ihren eigenen Weg des christlichen Lebensverständnisses - in klarer Abweisung alles dessen, was als römisches Erbe über das Papsttum und die katholische Kirche in die westliche Zivilisation Eingang fand. Es ist deshalb fast symptomatisch zu nennen, daß das erste historische Dokument, das von der Bereitschaft der Russen zur Aufnahme des Christentums spricht, mit dem Namen eines der entschiedensten Gegner verknüpft ist, den das Papsttum je gefunden hat. Photios, der Patriarch von Konstantinopel,[c] war es, der in einem Brief aus dem Jahre 867 seinen Bischöfen mitteilte, daß die »Rhos« einen »regen Eifer für die christliche Lehre zeigen« und daß er einen Bischof und Priester zu ihnen gesandt habe. Hinter dieser schlichten Mitteilung verbirgt sich nicht mehr und nicht weniger als der Anspruch der Ostkirche auf die Missionierung der Ostslawen.
* Der Ursprung des Namens »Rus« (Rusj) ist umstritten. Wahrscheinlich wurden zunächst nur die aus Schweden kommenden warägischen Kriegerscharen als »Rus« [d] bezeichnet. Später erfolgte eine Übertragung des Namens auf die ersten Staatsgebilde (Kiewer Rus, Nowgoroder Rus) und schließlich [e] auf die gesamte ostslawische Bevölkerung (Russen).
S.9f
4 Die Christianisierung der Russen sollte sich mitten in der großen Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westkirche vollziehen, und Byzanz, die Kaiserstadt am Schwarzen Meer, lag den Ostslawen näher als Rom. Der theologische Gegensatz zwischen Byzanz und Rom ließ zwei verschiedene Kulturkreise in Europa entstehen, deren einer stärker in der griechischen, der andere in der römischen Antike verwurzelt war. Schon im Mittelalter gab es keine »europäische Einheit«. Der Bruch, der niemals wieder heilen und durch das Schisma 1054 endgültig werden sollte, war bereits in der Kontroverse zwischen Photios und Nikolaus I.[f] sichtbar geworden. Seitdem trägt Europa ein doppeltes Gesicht.[g]
S.12
Renate Riemeck
aus «Moskau und der Vatikan»
Unsere Anmerkungen
a] Die vom Norden her ins Schwarze Meer ragende Halbinsel Krim war bereits den alten Griechen als Tauris (Stierland) bekannt. Bis in die jüngste Zeit spielten sich auf ihr richtungsweisende Ereignisse der europäischen, ja der Weltgeschichte ab.
b] das überdies gefälscht sein kann, was seit Menschengedenken immer wieder aufgedeckt wurde und wird
c] Photios I., der die beiden Mönche Kyrillos und Methodios auf die Krim geschickt hatte
d] Ruderer in flusstauglich flachen Langbooten
e] unter Zar Peter I.
f] Papst Nikolaus I. war der Gegner des Patriarchen Photios im filioque-Streit.
g] weshalb der innereuropäische Dialog auch doppelzüngig wirkt (siehe zB. Ukraine-Konflikt)
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201512.htm