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Neudenken:
Harmonische Saiten-Teilung
... mein an Pythagoras und Plato anklingendes Werk ...
Bisher haben wir den Ursprung der harmonischen Proportionen aufgezeigt, und zwar einen doppelten, einen, der sich unmittelbar von den darstellbaren und zugleich kongruenten Figuren [a] herleitet, einen anderen, der Gebrauch macht von der doppelten Proportion [b], auf der die Identität der Konsonanzen beruht. Da es nun aber unendlich viele harmonische Proportionen gibt und diese, was unser Wissen um sie anlangt, noch unbearbeitet, ungeschliffen, unscheinbar, unbenannt angehäuft oder vielmehr regellos zerstreut sind wie ein Haufen roher Steine und Balken, so folgt, daß wir uns daranmachen, sie zuzurichten, ihnen Namen zu geben, um zuletzt aus ihnen das herrliche Gebäude des harmonischen Systems oder der musikalischen Tonleiter aufzurichten, ein Gebäude, dessen Gliederung nicht willkürlich, wie einer denken möchte, nicht eine menschliche Erfindung ist, die man abändern könnte, sondern sich durch und durch vernunft- und naturgemäß darstellt, so daß Gott der Schöpfer selber sie beim Abstimmen der himmlischen Bewegungen [c] ausgedrückt hat. Das Mittel aber, durch das die harmonischen Proportionen in ein System zusammengefügt werden, sind die harmonischen Teilungen der Saite, deren Anzahl zu bestimmen Aufgabe dieses Kapitels ist.
DEFINITION
Wenn die ganze Saite in solche Teile zerlegt wird, die einzeln unter sich und mit der ganzen konsonieren, so heißen wir diese Teilung h a r m o n i s c h. Das Mittelglied dieser musikalisch (d.h. konsonant) [d] proportionierten Teilung ist einer der beiden gleichen Teile oder, falls die Teile ungleich sind, der größere von ihnen; die Außenglieder der konsonanten Proportion sind der andere, kleinere Teil und die ganze Saite.[e]
Der Mathematiker möge die Analogie mit dem göttlichen Schnitt [f] beachten, bei dem sich das Ganze zum größeren Teil verhält wie dieser zum kleineren. Wie nämlich bei der geometrischen Teilung die Verhältnisse gleich sind, so ist bei unserer musikalischen Teilung jene Eigenschaft die gleiche, die man Konsonanz, Konkordanz, Kongruenz oder Harmonie heißt. Man hüte sich aber, die Konsonanz als gleichartig anzunehmen, so wie dort nur ein einziges Verhältnis auftritt.
Die Alten haben diese Teilung nicht in diesem Sinn erwähnt, weil sie die wahren Ursachen der Konsonanzen nicht kannten. [...]
Es folgen die Sätze IX bis XIX.[g]
Johannes Kepler
aus »Weltharmonik«; S.107
Unsere Anmerkungen
a] vgl. Kongruente Figuren sowie »TzN Jän.2006«
b] Dabei klingen die beiden Proportionsteile identisch zusammen, indem der größere das Doppelte des kleineren ausmacht, zB. bei der Oktav.
c] zB. der Planeten im Verhältnis zur Erde
d] Kepler beschreibt die Musik als „eine konkrete, in Tönen sich ausdrückende Harmonie”.
e] siehe die Stammtonverhältnisse
f] auch Goldener Schnitt (F20) oder Pentagrammproportion (Fünfsternverhältnis) genannt
g] siehe testo 6
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201110.htm