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Nachdenken:
Gene und Bildekräfte
1 Zwischenfrage: Wo bleiben die Gene [a] und ihre (angeblich) dominierende Rolle? Es ist jedenfalls eine Tatsache, dass die DNA der Gene eines der inaktivsten Moleküle ist, das man kennt. Sie wird von sich aus niemals aktiv, wenn sie nicht vom Organismus dazu aufgerufen wird. Ein und dieselbe DNA kann in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung eines Embryos ganz verschiedene Bildungen anstoßen. Einzelne Gene können den Ort, an dem sie normalerweise lokalisiert sind, aus unbekannten Gründen verlassen und an anderen Stellen des Genoms auftauchen (»Springende Gene«); ein und dasselbe Gen kann zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Entwicklungen anstoßen: »Die Zielorte der Gene bestimmen damit deren Wirkung wesentlich mit. Zelluläre Prozesse können Gene an- und ausschalten. Die meisten Strukturen und Organismen sind gar nicht von einzelnen Genen determiniert, sondern bilden sich epigenetisch [jeweils neu] durch kooperative Wechselwirkungen (Selbstorganisationsprozesse) zwischen Elementen aus. Zwar sind diese Elemente genetisch determiniert, aber weder für diese Wechselwirkung noch für deren Resultate braucht irgend etwas im Genom ›vermerkt‹ zu sein. Es kann also nicht die Rede sein, dass im Genom ein Bauplan für den Organismus bereitliegt, das heißt bei einem System, das durch zirkuläre Abhängigkeit und funktionelle Interdependenz gekennzeichnet ist«.⁴ »Die molekulare Entwicklungsgenetik hat einen Punkt errreicht, an welchem die zentrale Frage, wie Gene Entwicklungsprozesse bestimmen, umgekehrt formuliert werden muss: Wie werden die für die Entwicklungsprozesse notwendigen Gene rekrutiert, und wer teilt ihnen ihre biologische Aufgabe zu?«⁵
2 Es braucht eben beides! Die Gene allein tun gar nichts, wenn sie nicht aufgerufen werden, und der Ätherleib [b] alleine hätte keine physische Basis, an der er ansetzen und tätig werden könnte. Um einen (natürlich wie immer schiefen) Vergleich zu gebrauchen: Die Gene sind wie die Tastatur eines Klaviers. In dieser die »Ursache« für eine Beethoven-Sonate oder Chopin-Etude sehen zu wollen, wäre deshalb unsinnig, weil der Spieler, ohne den nichts erklingen könnte, vergessen wurde! In unserem Fall ist der Spieler der Ätherleib, was bedeutet, dass in ihm der zu bildende (und sich ständig wandelnde!) Organismus potentiell bereit liegt und mit Hilfe der Gene zum Erklingen gebracht wird. Schief (oder einseitig) ist der Vergleich auch deshalb, weil er die Bedeutung des Zufalles [c] nicht würdigt, der tatsächlich für den realen Pianisten nur eine Panne wäre.[d] Der Zufall ist deshalb wichtig, ja notwendig, weil er dem Ätherleib das Aufgreifen von Neuem erlaubt. Je mehr Zufälle, desto größer die Auswahl an »Rohmaterial«! In jedem Organismus ist ständiger Zerfall der gebildeten Strukturen ebenso an der Tagesordnung wie unentwegte Neubildung.[e] Letzteres hat Ersteres zur Voraussetzung, wie die Nahrungsaufnahme zeigt: Die Stoffe können erst in dem Moment vom organismuseigenen Ätherleib aufgegriffen werden, in dem alle vom Ätherleib des Herkunftsorganismus aufgeprägten Strukturen zerstört worden sind!
3 Und es ist im Grunde eine Katastrophe, dass in den Lehrbüchern für Schulen und Hochschulen immer noch die Rolle des Zufalles völlig falsch interpretiert wird und ihm statt seiner (notwendigerweise!) destruktiven, chaotisierenden und dadurch neutrales Baumaterial liefernden Funktion eine schöpferische angedichtet wird. Kein Wunder, wenn die intellektuelle Armseligkeit und Wirklichkeitsferne der neodarwinistischen Ideologie nachdenkliche Zeitgenossen veranlasst, nach anderen Weltbildern Ausschau zu halten. Und gefährlich wird es, weil die Vertreter des konservativen Darwinismus im wissenschaftlichen und bildungspolitischen Sektor Schlüsselpositionen besetzen [f] und damit Entscheidungsbefugnis nicht nur über Publikationen, sondern letztlich auch über Berufswege, Lebensläufe und die Vergabe von Forschungsgeldern haben. Erst recht in der gegenwärtigen Situation eines beginnenden Glaubenskrieges.
Andreas Suchantke
4 Michael Weingarten: Organismen - Objekte oder Subjekte der Evolution? Philosophische Studien zum Paradigmawechsel in der Evolutionsbiologie, Darmstadt 1993.
5 Johannes Wirz: Typusidee und Genetik, in Peter Heusser (Hg.): Goethes Beitrag zur Erneuerung der Naturwissenschaften, Bern und Stuttgart, 2000.
aus »Die Drei« Januar 2008; S.17ff
Unsere Anmerkungen
a] vgl. »TzN Dez.2003«
b] deutlicher Bildekräfteleib genannt (vgl. Mbl.5)
c] vgl. «E+E»: Abs.520f
d] Das gilt nur für den stur vom Blatt spielenden Menschen, nicht jedoch für den improvisierenden, der ja die musikalische Eingebung, die ihm gerade zufällt, geistesgegenwärtig erklingen lässt oder eben nicht.
e] David W. Pfennig zur phänotypischen Plastizität:
„Erstens: [...] Evolutionäre Neuerungen können zweifellos durch genetische Mutation entstehen - doch bei Eigenschaften, die auf Plastizität beruhen, ist ein adaptiver »Fortschritt« besonders wahrscheinlich. Denn da sie infolge von Umwelteinwirkungen entstehen, werden sie in der Regel von vielen Individuen [= Exemplaren] gleichzeitig ausgeprägt und verbessern oft den Anpassungsgrad. Es gibt immer mehr Hinweise auf Merkmale von Organismen, die ursprünglich als plastische Reaktionen entstanden sind - mit anderen Worten, dass hier Evolution stattgefunden hat, die durch phänotypische Plastizität ermöglicht wurde.
Zweitens: Phänotypische Plastizität hilft, schnellen evolutionären Wandel begreiflich zu machen. Obwohl genetische Veränderungen grundsätzlich das Potenzial haben, rasch Neuerungen hervorzubringen, ist das nicht sehr wahrscheinlich: Vorteilhafte Mutationen sind selten, sie betreffen zunächst nur ein einzelnes Individuum [= Exemplar] und dessen unmittelbare Nachkommen, und sie verbreiten sich üblicherweise nur langsam in einer Population. Plastizitätsbedingte Merkmale hingegen treten bei vielen Organismen gleichzeitig auf, gehen häufig mit einer verbesserten Anpassung einher - und haben somit das Potenzial, Evolution zu beschleunigen. In einer Welt, die sich infolge menschlicher Einwirkungern immer schneller verändert, könnte das zunehmend wichtig werden.
Drittens: Plastizität trägt dazu bei, die so genannte konvergente Evolution zu erklären, bei der verschiedene Arten unabhängig voneinander ähnliche Merkmale hervorbringen. Fachleute gehen im Allgemeinen davon aus, dass es zu Konvergenz kommt, wenn der gleiche Selektionsdruck auf zufällig entstandene Mutationen wirkt und übereinstimmende Eigenschaften auswählt. Organismen, die in vergleichbarer Umgebung leben, entwickeln jedoch oft ähnliche Attribute auf Grund von phänotypischer Plastizität. Beispielsweise reagieren viele Pflanzenarten auf Lichtmangel, indem sie breitere Blätter ausbilden - und zahlreiche Tiere prägen bei Fleischverzehr einen kürzeren Darm aus. Wenn derartige durch äußere Einwirkung hervorgerufenen Merkmale genetisch assimiliert werden, kommt es zu konvergenter Evolution. Im Einklang mit dieser Hypothese weisen bei Organismen, die eine solche Entwicklung durchlaufen, die konvergierenden Merkmale oft Plastizität auf. Evolution könnte somit durch genetische Veränderungen erfolgen, welche die ursprünglichen plastischen Reaktionen stabilisieren und im Erbgut fixieren.”
(in »Spektrum der Wissenschaft« 10.2022; S.43f)
f] von denen aus dann dekretiert wird, was als wissenschaftlich zu gelten habe und was nicht
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200806.htm