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Die Verschärfung des Häresiebegriffs
im Mittelalter

 

An der grundlegenden Definition des Vergehens der Häresie [a] als dem hartnäckigen Festhalten an einer falschen Lehre oder einer falschen Auslegung der Schrift trotz der Ermahnung und Belehrung durch kirchliche Autoritäten ändert sich bis ins Hochmittelalter und darüber hinaus kaum etwas. Im Zuge des Vormachtstrebens der römischen Bischöfe nimmt die römische Kirche zunehmend für sich in Anspruch, mit ihren Lehrmeinungen die richtige und einzig wahre Lehre zu vertreten. Rechtgläubige Christen haben das zu glauben, was die römische Kirche lehrt.

Eine weitere Verschärfung des Häresiebegriffs geht auf Petrus Damiani (gest. 1072) [b] und Papst Gregor VII. (1073-1085) [c] zurück: Man machte sich bereits der Häresie schuldig, wenn man die Dekrete des Papstes ablehnte. Bis gegen Ende des 12.Jahrhunderts hatte diese Auffassung vollständig Einzug in das Kirchenrecht gehalten. Die Idee, daß derjenige, der sich gegen Papstdekrete stellt, automatisch ein Häretiker sei, leitet sich vom Selbstverständnis der römischen Bischöfe als Nachfolger des Apostels Petrus ab, wie es der römische Bischof und Papst Leo I. der Große (440-461) [d] prägte. Papst Kalixt I. (217-221) [e] bezog Mt 16,18f.:
"Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Fels werde ich meine Kirche [f] bauen [...]. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs [g] geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein"
auf den römischen Bischof und schuf damit die Papstidee.[h] Der römische Bischof Leo I. leitete von der Schlüsselgewalt, die auf Petrus und damit ebenfalls auf alle seine Nachfolger übertragen worden war, das Amt des Papstes als höchster Richter über die gesamte Christenheit ab. Mit anderen Worten, was der Papst sagt, ist für alle Christen Gesetz. Außer der obersten Verwaltung der Kirche (vgl. Joh 21,15: "Jesus sagte zu ihm: Weide meiner Lämmer!") [i] nahmen die Päpste seit Leo I. die Autorität des höchsten Lehramts für sich in Anspruch. Sie bezogen sich dabei auf Lk 22,32:
"Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder."

Die ersten Schwierigkeiten mit diesem Machtanspruch [k] gab es bereits auf dem Konzil von Chalkedon (451), das die prinzipielle Gleichrangigkeit der Bischöfe von Rom und Konstantinopel festlegte. Die Trennung in Ost- und Westkirche (1054) beruhte letztlich darauf, daß sich zwei Reichskirchen und zwei Patriarchate miteinander um die Vormachtstellung stritten. Der Abbruch der Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel blieb übrigens mehr als 900 Jahre, bis 1967, bestehen.

Petra Seifert
aus «Geheime Schriften mittelalterlicher Sekten»; S.33f

Unsere Anmerkungen

a] von <haíresis> (~ Wahl; Neigung, Überzeugung)
b] Der Benediktinermönch Petrus Damianus war Kardinalerzbischof von Ostia und Mitstreiter von Hildebrand Aldobrandeschi.
c] Ildebrando Aldobrandeschi
d] Der strenge Verfechter römischer Vormacht Leo I. kann durchaus als Fundamentalist bezeichnet werden.
e] Calixtus I. war Römer und Märtyrer.
f] von <ekklesía> (~ "Herausrufung" > Volksversammlung; Versammlungsplatz)
g] <kleidas tes basileías tõn uranõn> (~ Schlüssel der Reiche der Himmel)
h] eine klassische Usurpation, die zwangsläufig zum späteren Terror der Amtskirche gegenüber Andersdenkenden führte
i] Die vielbemühte Formulierung lässt entschieden offen, wer sich um zB. "meine Bären" kümmern solle, denn Jh.21,20-22 stellt klar, dass keinesfalls sämtliche Brüder und Schwestern Christi als Schafe Petri betrachtet werden dürfen.
k] der dem heidnisch-römischen Cæsarentum abgeschaut war, mit dem sich die Kirche seit Constantin eingelassen hatte, jedoch nicht vom Christus abgeleitet werden kann

red.18.IX.2007
WfGW, 1220 Wien / AT