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Nachdenken:
Der Menhir als Mal
Ein steinernes Mal in einer Landschaft oder ein erhabenes Bauwerk können den Menschen unvermutet ansprechen. Beide appellieren an dessen eigene Aufrichtekraft, denn es kommt ihm in der Anschauung etwas entgegen, das seiner menschlich-aufrechten Gestalt analog erscheint. Unsere aufwärts gerichtete Leibesgestalt wird uns in besonderem Maße bewußt, wenn wir einer vertikal-tektonischen Bildung gegenüberstehen. Das gilt für jedes Bauwerk wie auch für dessen Urelement [a], das tektonische Mal. Denn die drei Dimensionen,[b] die bereits diese einfachste räumliche Gestalt einnimmt, sind gleichzeitig diejenigen unseres physisch-mineralischen Leibes.
Wenn wir in uns die Fähigkeit lebendig machen, uns hineinzuversetzen in eine Kultur der Menhire, so können wir die Wirkung auf die eigene Leiblichkeit nacherleben. Durch das Fehlen des Innenraumes, in dem sich gewöhnlich alle unsere Erfahrungen konzentrieren, wird stärker wahrgenommen, was im Umkreis lebt.
Man kann erfahren, daß eine Zeit, in der solche Steinmale errichtet wurden, sich bewußtseinsmäßig wesentlich von der unsrigen unterschieden haben muß. Und es wird erlebbar, daß das Verhältnis des damaligen Menschen zu seinem eigenen Organismus ein anderes gewesen sein muß als das unsere. Unser Leben spielt sich vornehmlich in geschlossenen Räumen ab, und man kann diese Innenraum-Kultur als Ausdruck des im Menschen aufleuchtenden Bewußtseins ansehen. Die Kultur der Steinmale dagegen ist vom kosmischen Umkreis her bestimmt, dem der Mensch noch unmittelbar verbunden war. Von der Stein-Setzung zur Bildung eines Innenraumes geht ein langer Weg, der zugleich der Weg der Verinnerlichung des Bewußtseins innerhalb der Menschheitsentwicklung ist.
Damit ist auch das Phänomen des menschlichen Gedächtnisses verbunden. Wenn wir uns an etwas erinnern, so heißt das bereits vom Wort her, daß ein Erlebnis oder eine Vorstellung in unserem Innern wieder lebendig wird. Wir können heute eine Erinnerung aus eigener Aktivität hervorbringen, aber es kann auch durch eine Begegnung in der Außenwelt eine bestimmte Erinnerung in uns wach werden. Die daraufhin orientierte Erscheinung des Denkmals führt jene alte Tradition des Males weiter, durch die derjenige Bewußtseinsinhalt, der bei der Aufstellung des Males zugrunde lag, bei jeder neuen Begegnung wieder ins Bewußtsein zurückgerufen werden sollte.
Dieses elementare Motiv war bei der Errichtung von Malen zu allen Zeiten bestimmend; in prähistorischer Zeit aber stellte diese Form der Erinnerung die einzige dar im Gegensatz zur Neuzeit.⁴⁴ Und sie ist tief mit dem Wesen des Menschen verbunden. Der Aufrichte-Impuls im Menschen und in der Steinsetzung als geistigem Akt entspringt willenshaft-intuitiver Bewußtseinsschicht. Man setzt etwas, mit dem man sich selbst identisch weiß. Dies ist ein Willensakt geistiger Tätigkeit und Wahrnehmung, in der Selbsterkenntnis und Erinnerung eines sind. Das Mal erscheint als Akt des Aufrechten im Menschen und zugleich als Erinnerung an das geistig-göttliche Urbild, das diesen Akt bewirkt. Jede Begegnung mit dem Mal erneuert die Begegnung mit sich selbst. Was hier in der Vertikalisation sich ereignet, entspricht der Ich-Findung und der damit verbundenen Erinnerungsfähigkeit im modernen Bewußtsein.
Die Erinnerungen, die sich hier lokalisierten, waren denkwürdige Ereignisse mannigfaltiger Art. Es waren auch Erinnerungen an menschliche Individualitäten, die auf diese Weise im irdischen Bereich gegenwärtig blieben. Darauf geht nicht nur der Denkmalkult, sondern auch der Ahnenkult zurück,[c] mit dem wir meist nur eine vage Vorstellung verbinden. Es konnte dadurch das Geistwesen eines Menschen im Erlebnisbereich der Lebenden anwesend sein. So erklärt sich, daß man in Irland die Steinmale auch als Eidolon ansah. - Man sagte von solchen Steinen, daß sie bei Nacht ein heimliches Leben führten, sich fortbewegten, zum Flusse gingen, sogar Laute von sich gäben. - Es wurden ihnen menschliche Eigenschaften zugeschrieben, denn - so glaubte man - menschliche Individualitäten hätten sie als »Seelensitze« erwählt.⁴⁵ Kunst ist in alten Kulturen ohne solche produktiven anthropomorphen Vorstellungen nicht denkbar.
Noch ein anderes Motiv verbarg sich hinter der kultischen Verehrung solcher Steine im keltischen Bereich. GEORG FRIEDRICH CREUZER, ein jüngerer Zeitgenosse GOETHES, hat in seiner umfassenden Mythologie viele Überlieferungen aus der alten Welt vor ihrem Untergange gerettet. Von seinem Mitarbeiter FRANZ JOSEPH MONE, der die Darstellungen der keltischen Mythen und Überlieferungen übernommen hatte, ist noch weiteres über die religiöse Bedeutung des Steines bei den Kelten zu erfahren. Er berichtet, daß für diesen Volksstamm jeder Stein, jede mineralische Formation, die »erste Erscheinung der festmachenden Kraft«, »das älteste Erzeugnis der Planetenkraft und notwendige Grundlage des organischen Lebens« sei.⁴⁶ Die in der Erdentwicklung wirksamen planetarischen Kräfte waren für die keltische Bevölkerung noch Realitäten, und ihre Verehrung galt diesen Mächten, die in den einzelnen Elementen [d] auf unterschiedliche Art wirksam waren. Der Stein war für sie der »Leib« der Erde, wie das Wasser der »Strom des Lebens«.⁴⁷
S.29f
44 Über die verschiedenen Formen der Erinnerung s. Rudolf Steiner, Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung, a.a.O., Vrtr. v. 24.12.1923. Zum Symbolcharakter s. Hans Sedlmayr, Idee einer kritischen Symbolik, in: Archivo di Filologia, Roma 1958, S.78ff.
45 Joseph Röder, Pfahl und Menhir, Neuwied 1949, S.78f.; Robert Alexander Stewart Macalister, The Archaeology of Ireland, London (1928), S.105.
46 Friedrich Creuzer, Symbolik und Mythologie [der alten Völker, Bd.6, Franz Joseph Mone ed., Leipzig, Darmstadt 1823], S.495.
47 Ders., ebda.
S.172
Bettina Brandt-Förster
aus «Das irische Hochkreuz»; S.29f
Unsere Anmerkungen
a] vgl. »TzN Feb.2007«
b] vgl. Mbl.5: Anm.1
c] Der Totemkult hingegen verbindet die Menschen einer Sippe mit einer Gruppenseele aus dem Tierreich, seltener aus dem Pflanzenreich.
d] Feuer (Wärme), Luft (Gas), Wasser (Flüssiges) und Erde (Festes) mit ihren Wesenheiten Salamandern, Sylphen, Undinen und Gnomen; zu deren Entstehung vgl. Mbl.6
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200704.htm