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Nachdenken:
Wille und Wissen
In seiner heurigen Februarausgabe hat »Spektrum der Wissenschaft« den Essay „Wille und Wissen” von Michael Springer veröffentlicht, in dem jener die These „Unser Wille ist frei, weil wir nicht alles wissen können.”[a] vertritt, eine Variation über die versteckte Determiniertheit menschlichen Handelns, welche die Freiheit [b] als nützliche Illusion zu entlarven sucht. Darauf folgte ein interessantes Leserecho:
Die Einschätzung des Autors, mit dem Begriff der Willensfreiheit stimme etwas nicht, trifft wohl zu. Aber statt skeptischer Folgerungen, insbesondere wegen unvollständigen Wissens, sollte man nach einer plausibleren Lösung suchen. Meines Erachtens bezieht sich der Freiheitsbegriff nicht auf die Willensebene, sondern ist dem Denkvorgang, dem Bewusstsein zuzuordnen.
Um dies näher zu erläutern, möchte ich vereinfachend von einem Reiz-Reaktionsverhältnis ausgehen: Der Wille ist die kausale Reaktion auf einen Reiz, wobei Reiz- und Motivationsstärke für die Auslösung der Reaktion verantwortlich sind. Die Freiheit des Bewusstseins besteht nun darin, dieses kausale Schema zu erweitern und Alternativen zum ursprünglichen Auslösungsmechanismus anzubieten. Dies wird ermöglicht durch die Abstandnahme, mit der das Bewusstsein Reiz und Motivation gegenübertritt.
Übt nun eine bestimmte Alternative eine stärkere Reaktionsbereitschaft aus als andere, wird die Willensbetätigung nach der Unterbrechung durch die distanzierende Bewusstseinsfunktion wieder kausal fortgeführt. Bisher hatte man Wille und Gedanke miteinander gekoppelt und damit den Freiheitsgedanken auf der Willensebene verankert. Nicht zuwenig, sondern mehr Wissen ist also die Folge einer gedanklichen Freiheit.
Dr.Eckhart Lefringhausen, Geldern
Wir handeln aus dem Zusammenwirken von Wünschen und Verstandesüberlegungen, das heißt, mein Wille bildet sich im Zusammenhang der jeweiligen Entscheidungssituation auf Grund meiner Anlage und Biographie mit dem Verstand als Werkzeug meiner Wünsche und Motive unter Nutzung des mir zugewachsenen Wissens und der abgespeicherten emotionalen Erfahrungen. Dabei habe ich die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit den Resultaten meiner Wünsche und meiner Verstandesüberlegungen zu handeln.
Demnach kann ich mich nur insofern als frei empfinden, als ich frei von Zwängen handele, obwohl ich gleichzeitig um die Determiniertheit des Vorgangs weiß und dies mir bei jedem Nachdenken über die Gründe meiner Entscheidung auch meistens bewusst wird.
Statt von Determiniertheit würde ich allerdings mit Rücksicht auf die Konsequenzen der Quantenmechanik [c] lieber von zufallsgebrochener Determination sprechen. Mit Willensfreiheit hat dieses Gefühl aber nichts zu tun. Sie bliebe gemäß meiner Darstellung eine Illusion.
Da meine Entscheidungen aus einem Prozess hervorgehen, der zwischen meinen Wünschen und verstandesmäßigen Überlegungen abläuft, erfahre ich mich trotz vorhandener Determination nicht als einen Automaten. Vielmehr empfinde ich mich als ein in Wechselwirkung mit der Umwelt [d] stehendes innerlich aktives, entscheidungs- und bewusstseinsfähiges Wesen.
Dr.Ruprecht Kampe, Marburg
Ich bin immer wieder erstaunt, wie unpräzise auch Naturwissenschaftler in ihrer Begrifflichkeit werden, wenn sie über philosophische Themen schreiben. Da werden Begriffe wie Freiheit, Wirklichkeit oder Wissen verwendet, als wäre es völlig klar, was darunter zu verstehen ist. Als Beispiel diene folgender Satz: „Wir sind aber genötigt, auf Grund unvollständigen Wissens zu handeln.” Ich bin überzeugt, der Autor bekäme schon Schwierigkeiten, wenn man ihn bitten würde, den Begriff „Wissen” zu definieren.[e] Aber mit Sicherheit könnte er nicht sagen, wie man vollständiges von unvollständigem Wissen unterscheiden kann.
Trotzdem würde ich es begrüßen, öfter Artikel über philosophische Themen zu lesen, zum Beispiel über erkenntnistheoretische Grundlagen der Naturwissenschaften.
Thomas Kandlbinder, Hamburg
Warum haben wir das Gefühl, mit unserem Geist von den Naturgesetzen losgelöst zu sein? Warum können wir spontane, unlogische Entscheidungen treffen?
Diese Fähigkeit kommt meiner Meinung nach nicht von „nicht alles wissen”, sondern von „nicht alles verstehen, am wenigsten uns selbst” - will heißen: All die Dinge, die uns passiert sind, haben unseren Charakter zu einem solch komplexen Gebilde geformt, dass wir die im Grunde logischen Abläufe, die zu unserer aktuellen Entscheidung geführt haben, nicht verstehen. Auch können sie niemals rekonstruiert werden. Zudem ermöglicht es uns diese Komplexität ja auch, uns selbst zu beeinflussen, sodass hier eine noch weniger greifbare Wechselwirkung entsteht.
Also mein freier Wille existiert, weil nicht bis ins letzte Detail bekannt ist, welche Zusammenhänge und Einflüsse dazu geführt haben, dass mein Wille der wurde, der er aktuell ist.
Jonas Schnaitmann, München
Herr Springer gibt einen kurzen, aber weit gespannten Überblick über das Problem der Willensfreiheit. Dabei fällt mir zweierlei auf:
Erstens die ungewohnte Ausdehnung des Begriffs „in der Sicht der ersten Person”. Mein Wille ist frei - und ich kann den Weltlauf nach Belieben verändern. Das hieße ja, dass auch der Erfolg nur von mir abhängt, zum Beispiel nicht nur der Entschluss, diesen Leserbrief zu schreiben, sondern auch die Veröffentlichung.
Zweitens verlässt er das Problem der naturgesetzlichen Determiniertheit und die schwer nachvollziehbaren Schlussfolgerungen der Schuldunfähigkeit und der „Entthronung des Menschen als denkendes Wesen” und spricht nur von Zielen, Wahl, Entscheidung, also psychischen, nicht physiologischen Begriffen, und von Verkehrsregeln, also juristischen Gesetzen, und nicht von Naturgesetzen. Auch das sind (kausale) Zusammenhänge, welche die Willensfreiheit beschränken. Aber es bleibt sehr wohl Raum für Verantwortung.[f] Und gerade in der jetzigen Zeit steht die Forderung nach Verantwortungsbewusstsein immer an vorderster Stelle.
Dr.Susanne Reichrath, Isny
L e s e r b r i e f e
in »Spektrum der Wissenschaft« 4/ u. 5/2006
Unsere Anmerkungen
a] nach Wittgensteins «Tractatus logico-philosophicus», Satz 5.1362
b] vgl. Mbl.9
c] vgl. »TzN Jän.2005«
d] vgl. »TzN Feb.2006«
e] Definierte Begriffe (definitio) sind tot und daher der Analyse zugänglich (vgl. Mbl.3). Lebendige Begriffe hingegen lassen sich lediglich beschreiben (descriptio) - siehe BROTBECK, St.: «Das entzauberte Hirngespinst».
f] Verantwortung kann als Kehrseite der Freiheit erfahren werden. Beide gründen im Denken und nicht im Gefühls- oder Willensleben.
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200605.htm