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Merkblatt-
Beilage 49:
Seele und Natur bei Schelling
Jaap Sijmons
1 Die Imagination [a] fordert, dass man sich ins geistig Wesenhafte verwandeln lernt. Schelling [b] stellt demgemäß als ersten Grundsatz seiner weiteren Philosophie auf: «Die erste Voraussetzung allen Wissens ist, dass es ein und dasselbe ist, das weiß und das gewusst wird.» Die Seele ist eins mit der Welt und sollte sich im Erkennen dessen nur bewusst werden. Schelling - ebenso wie Hegel [c] im reinen Denken - lässt die Seele im (imaginativen) Naturerkennen einen Kreis von zwölf Stationen [d] durchschreiten, die uns noch immer orientieren können.⁸
2 Zuerst treten wir selbst dadurch auf, dass wir aus dem Geiste heraus, die Identität aufhebend, uns die Welt gegenüberstellen, obwohl wir das Gefühl behalten, ihr zuzugehören (vgl. Rudolf Steiners ‹Die Philosophie der Freiheit›[e], II. Kap.). Schelling:

[ARI]
Die Natur ist an sich betrachtet ewige Substanz, in Bezug auf unser Wissen jedoch geteilt in Reales und Ideales, in Subjekt und Objekt, in Seele und Welt

[TAU]
In der bloßen Anschauung erscheint die Natur in jedem Ding als bewusstlos schaffend, mehr als Organ oder Gegenbild der Idee selbst.

[GEM]
Wir müssen dafür das Verhältnis von den Dingen der Natur zur Natur überhaupt wie zwischen absoluter Identität und endlichen Dingen betrachten, wenn es gilt zu ‹verstehen›
(vgl. ‹Die Philosophie der Freiheit›, V. Kap.: Das Erkennen ist das Überwinden des Sonderseins der Dinge).

[CNC]
So ist in jedem Ding a) das Wesen als die Unendlichkeit und b) die Form oder seine Endlichkeit, wodurch es in Differenz von a) erscheint.
3 Schelling schreitet hier die ersten vier Stufen des Tierkreises ab, so wie Rudolf Steiner sie als Weltanschauungskreis in GA 151 [f] schildert: Der Impuls der Begriffsform im Idealismus (Widder), dann ersteht das Objekt, insoweit es dem Begriff zugänglich gesetzt wird im Rationalismus (Stier), weiter das geometrische und zahlenmäßige Doppelverhältnis von Endlichem und Unendlichem (Punkt und Peripherie, Eins und dessen Wiederholung in der Zahl) im Mathematizismus (Zwillinge), und zuletzt wirkt, die feste Form der Dinge suchend, der Materialismus (Krebs). Vom 5. bis zum 8. Axiom entfaltet sich nun das erkennende Verhältnis von Mensch und Welt.

[LEO]
Der ‹Erscheinungsexponent› der Dinge ist, dass sie in der ‹Gegenbildlichkeit› versunken sind. Nochmals betont Schelling, wie im 2. Axiom, dass uns die Dinge als ein Gegenbild erscheinen, nur hier mit dem Akzent, dass sie in dieser Gestalt als Sinnesbild ‹versunken› sind.

[VIR]
Insofern die Dinge die absolute Identität, die Substanz, nicht aufnehmen, erscheint auch dieses an ihnen, diesmal als ‹ihre Notwendigkeit oder das Fatum, dem sie unterworfen sind›. Nicht nur die Dinge selbst, sondern auch ihre Abgesondertheit erscheint in ihrem Leiden und Untergehen.

[LIB]
Ihr Wirken aufeinander ist dabei aber auch nur Schein, denn «kein Ding in der Natur wirkt der Substanz nach auf das andere oder erfährt eine Wirkung, sondern jedes, als eine Welt im Kleinen, stimmt mit jedem andern durch absolute Identität zusammen», ist von innen her mit den andern koordiniert.

[SCO]
Denn die Dinge sind ‹innerlich verknüpft›. So zeigen uns, laut Schelling, sowohl ‹die Schwere› (die Gravitation oder das Streben nach ihrer Einheit im Mittelpunkt) wie eine Menge von chemischen, elektrischen und magnetischen Erscheinungen. Die unorganische Materie soll Leibniz [g] daher mit Recht als den Schlafzustand der Materie bezeichnet haben. In uns erwacht die Natur, da der Mensch, «der ganz im Zentrum steht, die vollkommenste, innerste Einheit mit allen Dingen hat», denn er erkennt sie.
4 Das sinnliche Erkennen trifft zunächst den Schein, den Standpunkt des Sensualismus (Löwe). Im Er-Scheinen und Verschwinden, also zwischen den Dingen, erscheint ihr ephemeres Sein im Phänomenalismus (Jungfrau). Drittens werden wir uns bewusst, dass ein verbindendes Ideelles im äußeren Schein wirken muss, wenn wir nicht grob materialistisch Druck und Stoß als verantwortlich für die Dynamik der Dinge untereinander ansehen. Wesen reihen sich selbst an Wesen im Realismus (Waage). Zuletzt wird das Erkennen für Schelling aus der Welt selbst geboren. Was als Kraftwirken das ‹okkulte› Dynamische erfasst im Dynamismus (Skorpion), sich kundtut im Anorganischen, enthüllt sich im Menschen als ein Wissen und Erkennen. Sehr bedeutend ist, wie Schelling dieses 8. Axiom selbst erläutert und dadurch das imaginative Erkennen jenseits des sinnlichen Scheins kennzeichnet: «Für diese innerliche Verknüpfung der Dinge haben wir keine andere Bezeichnung als entweder die der Sympathie und Antipathie, der Liebe und des Hasses, wie bei den Alten, oder allgemeiner und deutlicher die der Perzeption.» Das Gefühl, die verborgene Kraft, verdichtet zum Lichte! Schelling wendet uns zurück zum Ganzen und umfasst die himmlische ‹Umwölbung› des Unendlichen:

[SGR]
Die Natur als Ganzes hat nichts außer sich und besteht daher in einem steten und gleichen Verhältnis des Positiven und Negativen, der Bewegung und Ruhe, weil es von außen her nicht verändert werden kann.

[CAP]
Also bleibt sich im Wechsel des Einzelnen das Ganze gleich, oder anders gesagt, das Verhältnis von Positivem und Negativem, Bewegung und Ruhe usw. wechselt nur in den Einzeldingen.

[AQU]
Wenn nun der Teil dem Ganzen gleich ist, sind diese nicht nur wesentlich der Substanz gleich, auch in ihren Wechseln, in den Modifikationen (nach einem Ausdruck Spinozas [h]), sind die Teile durch das Ganze, d. h. durch alle anderen Teile bestimmt. Alles ist daher in unendlicher Variation, zugleich aber auch holistischer Ausdruck des Ganzen.

[PCS]
Alles gehört als solches zum Sein und zur Idee der unendlichen Substanz. Nichts hat ja Sein aus sich, außerhalb der Substanz oder Gottes. Alles hat Sein aus ihm und ist daher auch in dessen Sein.
5 Schelling skizziert hier in allgemeinen Begriffen, die in Rudolf Steiners Anthroposophie noch konkret-menschlich werden, dennoch folgerichtig die weiteren Stufen. Die Natur ist für Schelling als Ganzes die ‹Monas›, das wahrhaft Einzelne, das nichts außer sich hat, wie im Monadismus (Schütze) bei Leibniz die Urmonade sich in der Welt von Monaden spiegelt. Die Einzeldinge haben ihren Wechsel, entstehen und vergehen, ohne dass das Ganze wechselt. Es bleibt sich in der Dauer gleich und besteht als ewiges Gott-Geist-Wesen im Blick des Spiritualismus (Steinbock). Ein einziger Atem (griech. = pneuma) durchzieht alle Einzeldinge, wodurch alle Teile dieses Ganze spiegeln (wie die Monaden die Welt spiegeln oder wie im Kleinen, im Pflanzenorganismus ‹alles nur Blatt› ist, modifiziert vom Ganzen). Es ist dies der Standpunkt des Pneumatismus (Wassermann), wo die Natur in ihrer Äthergestalt erkannt wird. Die Dinge sind zuletzt nicht nur Bild oder Ausdruck des Ganzen, sondern haben ihr innerlichstes Bestehen im Gottesgrund, die Seele ihrer Seelen wurzelt in Gott, wie wir es bei dem sich steigernden Psychismus eines Fichte [i] finden (Fische).
6 Es mag abstrakt anmuten, Schelling trifft aber mit seiner Identitätsphilosophie sicherlich den Punkt, wo die Voraussetzung des erkennenden Fühlens erfasst wird: Im Fühlen erleben wir das Leben der Natur und der fremden Seele mit, sind wir zugleich inner- und außerhalb unseres Selbst. Im Reinigen der Gefühle in der freien Seele, sich übend in der Selbstbetrachtung des menschlichen Geistes, im Geist-Besinnen,[k] bereitet das Ich sich nun vor, die Welt fühlend durchdringen zu können, ihr ‹Hemmen und Streben› nachzuempfinden. Wir haben da - sei es nun vorerst wie bei Schelling in der Form von zwölf Axiomen - unser Selbst in seiner Perspektive auf die Natur im Bilde zu erfassen. Zuerst hat man nämlich auf dem Schulungsweg sich selbst in zwölf Imaginationen (als Sonne durch den Tierkreis) zu erleben, ehe man durch die vom Wahrheitsgefühl geleitete Imagination hindurch zum objektiv geistigen Erkennen durchdringen kann.⁹ Anders gesagt: ehe man sich als Ich dem Welten-Ich vereinen kann.
8 Ebenda [‹System der gesamten Philosophie und die Naturphilosophie insbesondere› in «Sämtliche Werke», Hrsg. K. F. A. Schelling 1856-1861 I/6], S. 278-282.
9 vgl. Makrokosmos und Mikrokosmos. GA 119, Vortrag Wien, 29.3.1910.
in »das Goetheanum« 33-34·2019; S.14f
7 Die Welt wird erst gut, wenn Ideen uns leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn Verstehen uns leitet.
Die Welt wird erst gut, wenn Berechnen uns leitet.
Die Welt wird erst gut, wenn Materie uns leitet.
Die Welt wird erst gut, wenn die Sinne uns leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn Erscheinungen leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn uns Tatsachen leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn die Kräfte uns leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn das Eine uns leitet.
Die Welt wird erst gut, wenn uns Geistwesen leiten.
Die Welt wird erst gut, wenn uns Geistiges leitet.
Die Welt wird erst gut, wenn uns Seelisches leitet.
Wenn selbst wir uns leiten,
ich alles mit allem bewege,
erst dann wird sie gut, unsre Welt.
J.M.Klein
Unsere Anmerkungen
a] vgl. Mbl-B.33a
b] Friedrich Wilhelm v.Schelling
c] Georg Wilhelm Friedrich Hegel
d] vgl. Tierkreis-Tabelle B: Spalte Denkrichtung
e] «GA 4»
f] «Der menschliche und der kosmische Gedanke»; S.34ff
g] Gottfried Wilhelm Leibniz
h] Baruch Despinosa
i] Johann Gottlieb Fichte
k] vgl. Grundstein
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB49.htm