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Merkblatt-
Beilage 46:
XVIII
Über die Beschaffenheit
der Natur von geistigen Wesenheiten
Thomas v.Aquino
154. Nun ist zu betrachten, was der Anschauung der katholischen [a] Lehre zufolge von der Beschaffenheit der geistigen Wesenheiten festgehalten werden muß.
Es gab einige Denker, die annahmen, die Engel [b] seien körperlich [c] oder aus Materie und Form [d] zusammengesetzt. Diese Ansicht scheint Origenes im ersten Buch seiner Schrift «Periarchon» vertreten zu haben, wo er sagt: «Es ist allein für die Natur Gottes, also des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes eigentümlich, daß sie als seiend ohne materielle Wesenheit und ohne jegliche Gemeinschaft mit einer körperlichen Hinzufügung²⁶⁶ gedacht wird.» Worte der Heiligen Schrift konnten diese Denker zu einem Verständnis der Engel als körperliche Wesen bewegen; die Heilige Schrift scheint den Engeln nämlich etwas Körperliches zuzuschreiben,²⁶⁷ weil sie von ihnen aussagt, sie befänden sich an einem körperlichen Ort; so heißt es Matthäus 18,10: «Ihre Engel in den Himmeln schauen stets das Angesicht meines Vaters, der in den Himmeln ist.» Zudem besagt die Heilige Schrift, die Engel würden sich bewegen, wenn es Jesaja 6,6 heißt: «Es flog zu mir einer von den Seraphim.» Und was noch weiter geht: sie schreibt ihnen eine körperliche Gestalt zu - wie an derselben Stelle von den Seraphim gesagt wird: «Sechs Flügel hatte der eine, und sechs Flügel hatte der andere» (Jesaja 6,2). Von Gabriel heißt es Daniel 10,5f: «Siehe, ein Mann in Leinen gekleidet, und seine Hüften umgürtet mit bestem Gold, und sein Körper wie ein Chrysolith», und das Übrige, das in dieser Beziehung an derselben Stelle beschrieben wird.²⁶⁸
Wir haben bereits oben dargestellt, aus welchen Gründen einige Denker annehmen möchten, daß es bei den Engeln eine Zusammensetzung aus Form und Materie gibt, obwohl sie keine körperlichen Wesen sind.²⁶⁹
155. Daß die Engel nichtkörperlich sind, wird durch das Zeugnis der Heiligen Schrift²⁷° belegt, die sie als Geister (spiritus) bezeichnet. In Psalm 103 [104], 4 heißt es: «Der seine Engel als Geister hervorbringt.» Und der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Hebräer 1,14, wo er über die Engel spricht:²⁷¹ «Sie alle sind dienende Geister, zum Dienst ausgesandt um derer willen, die die Erbschaft des Heils ergreifen.» Die Schrift bezeichnet mit dem Begriff «Geist» in der Regel etwas Nichtkörperliches; entsprechend heißt es im Johannes-Evangelium 4,24: «Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit [Wirklichkeit] anbeten.» Ganz ähnlich Jesaja 31,3: «Der Ägypter ist ein Mensch und nicht Gott; und ihre Rosse sind Fleisch und nicht Geist.» Also ist es der Anschauung der Heiligen Schrift zufolge unrichtig, daß die Engel körperlich sind.²⁷²
156. Wer sich vornimmt, die Aussagen der Heiligen Schrift sorgfältig zu untersuchen, wird ihnen entnehmen können, daß die Engel nichtmateriell sind. Denn die Heilige Schrift bezeichnet sie als bestimmte Kräfte - so heißt es in Psalm 102 [103], 20f: «Preiset den Herrn, ihr, alle seine Engel»; und anschließend wird hinzugefügt: «Preiset den Herrn, ihr, alle seine Kräfte.» Im Lukas-Evangelium (21,26)²⁷³ heißt es: «Die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden»; diese Worte beziehen alle Kirchenlehrer auf die heiligen Engel. Was aber materiell ist, das ist keine Kraft, sondern es besitzt eine Kraft; in ähnlicher Weise ist es kein Wesen (essentia), sondern es besitzt das Wesen - die Kraft ergibt sich nämlich aus dem Wesen. So ist der Mensch weder seine Menschlichkeit (humanitas) noch seine Kraft,²⁷⁴ und ähnliches gilt für alles andere aus Materie und Form Zusammengesetzte. Also ergibt sich, daß die Engel für die Anschauung der Heiligen Schrift nichtmateriell sind.
157. Diese beiden Aussagen finden sich in den Ausführungen des Dionysius Areopagita ausdrücklich; Dionysius sagt im vierten Kapitel der Schrift «Über die göttlichen Namen» von den Engeln: «Die geistigen Wesenheiten existieren ohne jede Vergänglichkeit, ohne Tod, Materie und Zeugung als reine Wesen,²⁷⁵ und sie werden als nichtkörperlich und nichtmateriell aufgefaßt.» Im ersten Kapitel der «Himmlischen Hierarchien» weist Dionysius darauf hin, daß «die göttliche Anordnung die verschiedenen nichtmateriellen Hierarchien der Engel durch materielle Sinnbilder überlieferte». Und im zweiten Kapitel desselben Buches stellt er die Frage, warum die heiligen Lehrer²⁷⁶ bei der körperlichen Darstellung des Nichtkörperlichen, also der Engel, diese nicht in prächtigsten Sinnbildern gestalteten, sondern den nichtmateriellen und gottförmigen nichtzusammengesetzten Wesenheiten durch irdische Sinnbilder Ausdruck verliehen.²⁷⁷ Aus allen diesen Ausführungen geht hervor, daß es die Ansicht des Dionysius war, die Engel seien nichtmaterielle und nichtzusammengesetzte Wesenheiten. Das ergibt sich auch daraus, daß er sie häufig als himmlische Geister (intellectus) oder als göttliche Geister (mentes) bezeichnet. «Intellectus» und «mens» ist nämlich etwas Nichtkörperliches und Nichtmaterielles, wie Aristoteles im dritten Buch «Über die Seele» darlegt.
Entsprechend sagt Augustinus im zweiten Buch der Schrift «Wortgetreue Auslegung der Schöpfungsgeschichte»: «Am ersten Tag, an dem das Licht erschaffen wurde,[e] wird die Hervorbringung der geistigen und vernünftigen Kreatur mit der Bezeichnung ‹Licht› zum Ausdruck gebracht, unter dessen Natur man alle heiligen Engel und Kräfte zu verstehen hat.»
Ähnlich formuliert es Johannes Damascenus [im zweiten Buch der Schrift «Vom rechten Glauben»], der Engel sei eine «geistige und nichtkörperliche Wesenheit». Doch läßt sein nachfolgender Zusatz Zweifel aufkommen: «Er wird im Hinblick auf uns als nichtkörperliche Natur²⁷⁸ und als nichtmateriell bezeichnet; denn mit Gott verglichen stellt sich alles als grob und materiell dar.» Dies wird hinzugefügt, damit man nicht glaubt, der Engel komme aufgrund seiner Nichtkörperlichkeit und Nichtmaterialität der göttlichen Einfachheit gleich.
158. Die körperlichen Gestalten und Formen, die in der Heiligen Schrift zuweilen den Engeln zugeschrieben werden, müssen im Sinne eines Gleichnisses aufgefasst werden. Dies hat folgenden Grund, wie Dionysius im ersten Kapitel der «Himmlischen Hierarchie» ausführt: «Unserem Geist (mens) ist es nicht möglich, sich zu jener nichtmateriellen Nachahmung und Anschauung der himmlischen Hierarchien aufzurichten, wenn er nicht, seinem Wesen entsprechend, eine materielle Richtschnur zu Hilfe nimmt.» In ähnlicher Weise wird in den Schriften auch über Gott selbst²⁷⁹ viel Körperliches im Sinne eines Gleichnisses ausgesagt. Daher erklärt Dionysius im 15. Kapitel der «Himmlischen Hierarchie», welches Geistige bei den Engeln durch alle diese körperlichen Sinnbilder jeweils bezeichnet wird.
Dionysius legt dar, daß den Engeln nicht nur solche körperlichen Gestalten, sondern auch Eigenschaften gleichnishaft zugeschrieben werden, die mit der Neigung des sinnlichen Begehrens in Zusammenhang stehen. Dadurch soll zu verstehen gegeben werden, daß die Engel nicht nur keine Körper, sondern daß sie auch keine Geister (spiritus) sind, die mit Körpern vereint werden, denen sie Vollkommenheit verleihen, indem sie sie mit sinnlicher Wahrnehmung ausstatten;²⁸° also gibt es bei den Engeln auch keine Tätigkeit der Sinnenseele. Dionysius schreibt im zweiten Kapitel der «Himmlischen Hierarchie»: «Zorn entsteht bei nichtvernünftigen Lebewesen²⁸¹ aus einer nicht selbst hervorgerufenen Bewegung. Dagegen muß das Wütende bei den Engeln in anderer Weise aufgefaßt werden: ich meine, es bezeichnet die Kraft ihres Vernunftvermögens.» Und im gleichen Sinne sagt Dionysius, die Begierde bezeichne bei den Engeln die göttliche Liebe.
Damit übereinstimmend²⁸² schreibt Augustinus im neunten Buch des Werkes «Über den Staat Gottes»: «Die heiligen Engel strafen ohne Wut die Menschen, die sie aufgrund des ewigen Gesetzes Gottes zum Bestrafen übernehmen; sie kommen den Leidenden ohne Mitleid mit ihrem Elend zu Hilfe; wenn diejenigen, die sie lieben, in Gefahr geraten,²⁸³ so unterstützen sie sie ohne Furcht. Dennoch werden die Namen dieser Leidenschaften im normalen menschlichen Sprachgebrauch auf die Engel angewendet,²⁸⁴ und zwar wegen einer gewissen Entsprechung der Tätigkeiten, nicht aber wegen einer Veränderlichkeit der Affekte.»
159. Die Formulierung, die Engel seien in den Himmeln oder an irgendwelchen anderen körperlichen Orten, darf nicht so verstanden werden, als seien sie auf körperliche Weise dort, d. h. durch Berührung der Ausdehnungsgröße; vielmehr ist diese Aussage so aufzufassen, daß sie auf geistige Weise durch eine bestimmte Berührung der Kraft dort sind. Der den Engeln zugehörige Ort ist geistig, wie Dionysius im fünften Kapitel seines Werkes «Über die göttlichen Namen» schreibt: «Die höchsten geistigen Wesenheiten sind in den Vorhallen der Trinität [f] angesiedelt.» Und Basilius sagt in der zweiten Homilie seines «Hexameron»: «Sie existieren im Licht und wohnen in geistiger Freude.» Auch Gregor von Nyssa schreibt in dem Buch «Über den Menschen»:²⁸⁵ «Das geistige Sein befindet sich an geistigen Orten, denn es ist entweder in sich selbst oder in höherstehendem Geistigen.²⁸⁶ Wenn es daher heißt, etwas Geistiges sei räumlich in einem Körper, so besagt dies nicht, es sei in einem Körper wie an einem Ort, sondern in einem Verhältnis²⁸⁷ zu ihm und in der Bedeutung des Gegenwärtigseins, in der wir sagen, Gott sei in uns.» Und kurz darauf fügt er hinzu: «Wenn daher ein Geistiges in einem Verhältnis zu einem Ort oder zu einem Ding stand, das im Raum existiert, so nehmen wir den Ort für das Verhältnis und sagen im uneigentlichen Sinne, etwas sei an diesem Ort: wegen der Tätigkeit (actus) dessen, das dort ist.» Wenn wir sagen müßten, «es handelt dort», sagen wir, «es ist dort». Im Anschluß daran schreibt Johannes Damascenus [im zweiten Buch seines Werkes «Vom rechten Glauben»]: «Wo der Engel handelt, dort ist er.» Und Augustinus sagt im achten Buch der «Wortgetreuen Auslegung der Schöpfungsgeschichte»: «Der Schöpfergeist bewegt den geschaffenen Geist durch die Zeit ohne Raum; den Körper aber bewegt er durch Zeit und Raum.»
160. All diese Äußerungen geben zu verstehen, daß geistige Wesenheiten nicht körperlich an einem Ort sind, sondern auf geistige Weise. Und weil sich etwas in derselben Weise im Raum bewegt, in der es im Raum ist, ergibt sich, daß sich die Engel auch nicht auf körperliche Weise im Raum bewegen; vielmehr muß man ihre Bewegung - sofern sie in den Schriften durch Bezugnahme auf den körperlichen Raum zum Ausdruck gebracht wird - als Aufeinanderfolge der Berührung einer Kraft an verschiedenen Orten auffassen. Oder die Bewegung der Engel ist in einer mystischen Bedeutung zu verstehen - im Sinne des Dionysius, der im vierten Kapitel der Schrift «Über die göttlichen Namen» ausführt: «Man sagt, die göttlichen Geister (mentes) würden sich kreisförmig bewegen, wenn sie mit den Erleuchtungen des Schönen und des Guten vereint sind; dagegen bewegen sie sich geradlinig,[g] wenn sie zum Vorhersehen des unter ihnen Befindlichen fortschreiten; schließlich bewegen sie sich seitwärts,[h] wenn sie Geringeres vorhersehen und dabei ohne direktes Voranschreiten um Gott herum verbleiben.»
An den wiedergegebenen Aussagen wird deutlich, was die heiligen Lehrer über die Beschaffenheit der geistigen Wesenheiten, also der Engel, überliefert haben: sie stellen fest, daß die Engel nichtkörperlich und nichtmateriell sind.
S.130ff
266 corporeae adiunctionis
267 verba sacrae Scripturae quae quaedam corporalia angelis attribuere videtur
268 et cetera, quae ad haec pertinentia ibidem describuntur
269 Quod autem sit in angelis, etsi non sint corporei, sit tamen in eis compositio formae et materiae, ex quibus rationibus accipere velint supra iam diximus.
270 sacrae Scripturae
271 Der Ausdruck «der Apostel» (Apostulus) bezeichnet im Mittelalter den Apostel Paulus, ähnlich wie «der Philosoph» Aristoteles und «der Kommentator» Averroes meint. Die mittelalterliche Theologie sah in Paulus den Verfasser auch des Hebräerbriefes; heute wird diese Zuschreibung abgelehnt, nachdem sich eine andere Anschauung der Verfasserschaft von Schriften herausbildete.
272 Sic igitur inconveniens est, secundum sacrae Scripturae sententiam, angelos corporeos esse.
273 Lucae XXI
274 neque sua humanitas neque sua virtus
275 ab universis corruptione et morte et materia et generatione mundae existunt
276 sacri Doctores
277 ante posuerunt
278 incorporea natura
279 de ipso Deo
280 quae sensificando perficiant
281 in irrationalibus
282 cui consentiens Augustinus dicit
283 periclitantibus eis quos diligunt
284 consuetudine locutionis humanae in eos usurpantur
285 Nemesius von Emesa: De natura hominis, cap. 3 (Migne, Patrologia graeca 40, 600 A). Dieses um 400 n. Chr. verfaßte Werk wurde im Mittelalter Gregor von Nyssa zugeschrieben.
286 Intelligibilia existantia in intelligibilibus locis sunt aut enim in seipsis sunt aut in superiacentibus intelligibilibus.
287 non ut in loco in corpore dicitur esse sed in habitudine
S.166f
aus «Vom Wesen der Engel»
Unsere Anmerkungen
a] im Sinne von „allumfassend”
b] gemeint sind hier unterschiedslos alle hierarchischen Wesenheiten (vgl. Mbl.10)
c] im Sinne von physisch (vgl. Mbl.5: physischer Leib)
d] vgl. «E+E»: Abs.708}-713}
e] Gen.1,3 schildert die erste Offenbarung aus dem Tohuwabohu.
f] vgl. Mbl.15
g] Die Gerade ist ein Abschnitt des unendlich grossen Kreises.
h] also abseitig oder abwegig und damit auf das Böse zu
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB46.htm