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Merkblatt-
Beilage 1e:
Die Töpferin
Eine Ostergeschichte
Diese Geschichte spielt im Jahr 616 n.Chr. in Arbon am Bodensee.
In ihrer Werkstatt sass die Töpferin an der Scheibe und drehte emsig Becher um Becher. Jedesmal wenn einer fertig gerundet war, nahm sie das feuchte Stück behutsam auf und stellte es auf ein Brett neben sich, wo schon einige der Trinkgefässe standen, um zu trocknen. Dann griff sie nach einem neuen Klümpchen weichen Tones, klebte es auf die Mitte der Töpferscheibe und begann das Schwungrad zu treten, um ein weiteres Gefäss zu drehen. Form um Form entstand so zwischen ihren kundig geführten Fingern. Lange schon übte sie dieses Handwerk aus und war darüber zur Künstlerin geworden, die jeder Form eine bestimmte Gestalt verlieh. Vierhand © 2013 by DMGG
Die Töpferin arbeitete still vor sich hin. Sie freute sich über den grossen Auftrag, den sie vor kurzem erhalten hatte. Ein Bote von Herzog Cunzo war aus Iburninga über den See gerudert gekommen und hatte sie gefragt, ob sie fünfhundert Becher herstellen wolle. Diese wären für die Mitgift der Herzogstochter bestimmt, welche König Sigibert anverlobt sei. Ein jedes der Gefässe solle das Wappen Cunzos tragen und auf zierliche Weise mit Wellenmustern versehen sein. Wie gern hatte die Frau eine solche Arbeit angenommen! Derlei konnte sie gewiss leisten, war sie doch ob ihrer Kunstfertigkeit weitum bekannt und geachtet.
Das Haus der Töpferin lehnte an der Ringmauer des alten Kastells. Es war klein und hatte neben der Werkstatt noch einen Raum zum Wohnen, Essen und Schlafen sowie einen Schuppen, in dem verschiedene Tone gelagert waren, dazu auch etwas Stroh und einige Farbtiegel. Vor dem Eingang war grober Kies gestreut, um ihn sauber zu halten. Daneben gedieh ein Gemüsegarten, an dessen Rand ein alter Apfelbaum stand.
Öfter einmal blickte die Töpferin von ihrer Arbeit auf. Von den beiden Fenstern sah man die Seefläche und ein Stück des Ufers gegen Konstanz zu. Dort sass der Bischof. Für den hatte sie einst zwölf grosse Krüge aufgebaut und sorgfältig auf der Scheibe gerundet. Das ganze Jahr über waren diese Krüge in der Sakristei der Bischofskirche verborgen. Am Gründonnerstag aber wurden sie jedesmal hervorgeholt, gereinigt und, mit klarem Wasser gefüllt, rund um den Altar aufgestellt. Es gab eine eigene, abgelegene Felsenquelle, von der das Nass dafür geholt wurde, denn Seewasser durfte es nicht sein. Genau erinnerte sich die Töpferin, wie gross die Krüge sein mussten. Die Aufgabe war gar nicht so leicht gewesen. Um sicher zu gehen, dass sie zwölf gute Gefässe erhielt, hatte sie dreizehn geformt; so konnte sie bei Bedarf ein weniger gelungenes auswechseln. Alle dreizehn hatten jedoch die Glut des Holzfeuers überstanden, ohne gerissen zu sein oder sich verformt zu haben, sodass sie sich zunächst nicht entscheiden konnte, welche zwölf sie dem Bischof liefern sollte. Erst nach genauerem Hinsehen hatte sie einen Krug entdeckt, der etwas höher als die übrigen geraten war. Diesen hatte sie schliesslich zurückbehalten und seither im Schuppen verwahrt.
Und wieder beugte sich die Töpferin über die leise kreisende Scheibe. Mit den Daumen höhlte sie das nasse Tonklümpchen aus und zog geschickt die Rundwand hoch. Stets achtete sie darauf, dass das Werkstück in der Mitte verblieb. Wenn der Ton unter ihren Händen an Geschmeidigkeit verlor, tauchte sie diese in eine Schüssel mit lehmigem Wasser. Während sie so arbeitete, hörte sie auf einmal schwere Schritte auf dem Kies vor dem Haus. Unwillkürlich dachte sie an ein grösseres Wildtier, deren ja genug in den nahen Wäldern hausten, und lauschte gespannt. Da klopfte es. Die Töpferin rief ein Grusswort und arbeitete ohne aufzusehen weiter, wie es ihrer Art entsprach. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine helle Gestalt war, die sich bückte, um durch die niedrige Tür hereinzukommen. Dann hörte sie eine freundliche, tiefe Stimme.
„Gott segne dich, liebe Meisterin! Wie geht es mit der Arbeit?” Die Töpferin richtete sich auf. Jetzt wusste sie, wer gekommen war. „Habt Dank, ehrwürdiger Vater”, erwiderte sie: „Ich bin's zufrieden. Seht, ich mache Becher für des Herzogs Töchterlein.” In ihrer Werkstatt stand der Einsiedel, Gallus, der aus weiten Fernen zu ihnen an den Wotansee gezogen und bei ihnen geblieben war. Von der grünen Insel Hybernia stammte er, und man sagte, dass er mehr wüsste und vermochte als selbst der Bischof. Die Töpferin stieg von der Scheibe, wischte sich die Hände an ihrem Kittel und betrachtete den Fremden. Der Mönch war in eine wollweisse Kutte gekleidet und hielt einen Haselstab. „Für Cunzos Töchterlein ...”, brummte er lächelnd: „Wie schön du diese Becher aufgereiht hast!” „Hier mögen sie durchtrocknen, bevor ich sie dem Feuer anvertraue”, antwortete die Töpferin und seufzte. Gallus schaute sie an. „Was will das Mädchen mit so vielen Bechern?” Darauf hob die Töpferin die Schultern und antwortete nicht. Jener fuhr fort: „Die Tochter braucht keine solchen Becher, wohl aber ihr Vater.”
Hierauf blickte sich der Einsiedel in der Werkstatt um. Er schien etwas zu suchen. Auf einem groben Gestell waren Teller und Töpfe aufgereiht, Krüge und Schüsseln, kleine und grosse Gefässe. Die Tür zum Schuppen stand offen. Man konnte dort allerlei Packen und Gerümpel erkennen, während der Blick in den Wohnraum durch einen Vorhang verhindert wurde. Es war nicht gerade reinlich hier, doch das wollte dem Mönch nicht weiter auffallen. Im Weiss seiner Kutte fand sich ebenfalls manch dunkle Spur.
„Das Osterfest naht”, begann Gallus endlich: „das Fest der Auferstehung nach tiefem Leiden und Tod. Dem Wasser gleich fällt und steigt das Leben, und gefallen und gestiegen ist unser Herr. Die ganze Erde umfängt Er, durchdringt Er, segnet Er nun. König der Elemente ist Er! Dessen will ich in Ehrfurcht gedenken. So möchte ich Wasser von meinem Tobel im Gebetshaus aufstellen, vor dem Altar mit frischen Blumen.” Die Töpferin hörte zu und schwieg. Sie dachte an die kleine Kapelle im Wald, die schlichte Hütte daneben, das stete Rauschen des nahen Wasserfalls. Sie hatte den Einsiedler schon öfter besucht und von ihm manch gutes Wort erhalten, obwohl sie nicht immer alles verstand. Die Ruhe des Ortes aber gab ihr jedesmal neue Kraft. Gallus sprach weiter: „Ich frage dich, Frau: hast du ein würdiges Gefäss, das du mir überlassen könntest?”
Und mit einem Mal begriff die Töpferin, warum sie einst dreizehn Krüge gefertigt hatte.
cm.jansa
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB01e.htm